Monster
Doktorandenstudiums schon zwei Arbeiten als Einzelautorin veröffentlicht. Nichts Weltbewegendes, aber solide Arbeit, die zu Hoffnungen Anlass gab. Ihr Interessengebiet - Alkoholismus und seine Auswirkungen auf das Reaktionsvermögen - passte zu meinem. Und an Alkoholikern herrscht hier ja beileibe kein Mangel. Ich dachte, sie wäre vielleicht in der Lage, selbstständig Fördermittel an Land zu ziehen, und das hat sie auch getan.«
All diese Fakten hatte ich auch schon in ihrem Lebenslauf gelesen.
»Sie arbeitete also für Sie und betrieb darüber hinaus auch noch ihre eigene Forschung.«
»Ein Viertel ihrer Zeit verwandte sie auf ihre eigene Forschung, den Rest verbrachte sie mit meiner Langzeitstudie über die Wirkungen von Neuroleptika. Auftraggeber ist die Nationale Gesundheitsbehörde. Drei verschiedene Medikamente im Erprobungsstadium plus Placebo, das Ganze als Doppelblindversuch. Sie führte die Tests an den Patienten durch und war außerdem mit der Erfassung und Auswertung der Ergebnisse betraut. Das Projekt wurde gerade für fünf weitere Jahre verlängert. Ich habe soeben ihren Nachfolger angestellt - Walter Yee heißt er. Abschluss in Stanford. Aufgeweckter Bursche.«
»Wer hat außer ihr noch an der Studie gearbeitet?«, fragte ich.
»Neben Ciaire gab es noch drei Leute - zwei Mediziner, ein Pharmakologe. Alle promoviert.«
»Hatte sie engeren Kontakt zu ihnen?«
»Selbst wenn, wüsste ich es nicht. Wie gesagt, ich mische mich nicht großartig ein. Arbeit und Privatleben sind hier völlig voneinander getrennt.«
»Das Projekt wurde um weitere fünf Jahre verlängert. Dann war Geld also nicht der Grund, warum sie von hier weggegangen ist.«
»Absolut nicht. Sie hätte außerdem gute Aussichten gehabt, weitere Fördermittel für ihre eigene Studie zu bekommen. Das Geld dafür kam von der Gesundheitsbehörde, Abteilung Drogenmissbrauch. Sie hatte sie gerade abgeschlossen, kurz bevor sie von hier wegging. Die Ergebnisse ließen keine eindeutigen Schlüsse zu, aber methodisch ließ die Arbeit nichts zu wünschen übrig. Allerdings hat sie nie einen Antrag gestellt.« Er schaute zur Decke. »Sie hat mir nicht mal davon erzählt, dass sie sich nicht um eine Anschlussförderung bemühen würde. Und damit muss für derartige Projekte jetzt ein Neuantrag gestellt werden.«
»Also hat sie schon länger vorgehabt, von hier wegzugehen.«
»Es sieht so aus. Ich war deswegen ziemlich enttäuscht von ihr. Zum einen, weil sie das Projekt nicht fortsetzte, und zum anderen, weil sie mich nicht darüber informiert hatte. Obwohl ich auch ärgerlich auf mich selbst war und mir eine gewisse Schuld gab, weil ich alles zu sehr an der langen Leine laufen ließ. Wenn sie zu mir gekommen wäre, hätte ich es aller Wahrscheinlichkeit geschafft, die Bewilligung für eine Vollzeitstelle für sie zu bekommen. Oder etwas anderes für sie zu suchen. Auf ihrem Gebiet war sie wirklich sehr kompetent. Absolut verlässlich. Keinerlei Beschwerden. Für Dr. Yee habe ich beispielsweise eine volle Stelle bekommen. Aber sie hat sich darum nie bemüht - ich nehme an, Sie haben Recht mit Ihrer Vermutung. Sie wollte hier weg. Obwohl ich keine Ahnung habe, warum.«
»Sie hat sich nie beschwert?«
»Nicht ein einziges Mal. Selbst die Art, wie sie mich davon in Kenntnis gesetzt hat - kein persönliches Gespräch, sondern einfach nur ein dicker Umschlag mit den Ergebnissen ihrer Untersuchung und der Mitteilung, dass die Fördermittel für das Projekt ausgelaufen seien und ihre Mitarbeit nun beendet sei.«
Das erinnerte mich an die Art und Weise, wie sie sich von Joe Stargill hatte scheiden lassen.
»Mit wem hat sie an ihrem eigenen Projekt zusammengearbeitet?«
»Sie hatte eine Teilzeitkraft für Sekretariatsaufgaben, ansonsten betrieb sie die Erhebung und Analyse ihrer Daten selbst. Das war auch so eine Sache, die nicht hätte sein müssen. Denn ich bin sicher, sie hätte zusätzliche Mittel beantragen können und damit dem Institut weiteres Geld verschaffen können, aber sie wollte immer nur allein arbeiten.«
»Eine Einzelgängerin«, sagte ich.
»Aber das sind wir doch alle. Jedenfalls alle in meiner Umgebung. Es ist nicht so, dass ich bewusst Leute angestellt hätte, die man als antisozial bezeichnen könnte, aber in gewisser Hinsicht …«Er lächelte. »Wussten Sie, dass ich als Analytiker angefangen habe?«
»Ach ja?«
»Aber sicher. Freudianer reinsten Wassers, mit Couch und allem Drum und Dran. Ich habe garantiert hunderte
Weitere Kostenlose Bücher