Monster
klingelte. Milo war nirgends zu sehen, also nahm ich ab. »Schreibtisch von Detective Sturgis.«
Eine vertraute Stimme sagte: »Ich möchte eine Nachricht für Detective Sturgis hinterlassen.«
»Heidi? Hier ist Dr. Delaware.«
»Oh … hören Sie, es tut mir Leid, dass ich heute Morgen nichts aus Peake herausgebracht habe.«
»Machen Sie sich deswegen keine Gedanken.«
»Was meine Glaubwürdigkeit bei Swig angeht, habe ich mir jedenfalls auch keine Lorbeeren verdient. Nachdem Sie gegangen waren, hat er mich in sein Büro kommen lassen, und ich musste ihm die ganze Angelegenheit noch mal von vorne bis hinten erzählen: was Peake gesagt hat, wann er es gesagt hat und ob ich sicher wäre, dass ich auch richtig gehört hätte.«
»Tut mir Leid, dass Sie Ärger bekommen haben.«
»Es wäre eben schön gewesen, wenn es sich hätte beweisen lassen … Aber egal, ich rufe sowieso nur deshalb an, weil ich Detective Sturgis mitteilen wollte, dass ich mich entschlossen habe, nur noch zwei Wochen in Starkweather zu bleiben, dass er mich aber anrufen kann, wenn er sonst noch was braucht.«
»Danke, Heidi, ich richte es ihm aus.«
»Und Sie«, sagte sie, »Sie arbeiten also da? Auf dem Polizeirevier?«
»Nein, ich bin nur zufällig gerade hier.«
»Klingt ja interessant. Ich werde es weiter bei Peake probieren, vielleicht kommt ja doch noch was dabei heraus.«
»Gehen Sie aber kein Risiko ein.«
»Was? Wegen Ardis meinen Sie? Sie haben doch gesehen, in welchem Zustand er ist. Gefährlich kann man das wohl kaum nennen. Aber ich werde trotzdem vorsichtig sein - glauben Sie, dass Claire vielleicht nicht aufgepasst hat?«
»Keine Ahnung«, sagte ich.
15
Bevor ich das Revier verließ, rief ich zu Hause an. Robin war nicht da, also wartete auf mich nur ein Haufen Papierkram - Abschlussgutachten über Vormundschaftsfälle, die ohnehin schon entschieden waren. Ich erklärte meiner eigenen Stimme auf dem Tonband, dass ich gegen fünf zurück sein würde.
Die Begegnung mit Ardis Peake saß mir immer noch in den Knochen.
Das Monster.
Es fiel schwer, diese stumme, ausgemergelte leere Hülle mit jemandem in Verbindung zu bringen, der eine ganze Familie ausgelöscht hatte.
Konnte sich Mr. Swig eine bessere Reklame für sein hochgradig strukturiertes System vorstellen?
Was muss passieren, dass von einem Menschen nichts weiter übrig bleibt als so was?
Ich hatte Milo die Kurzfassung einer Erklärung geliefert, und er hatte sich dankenswerterweise nicht beschwert. Denn wirkliche Antworten hatte ich auch nicht. Niemand hatte sie.
Was mich irritierte, war das, was Peake mit den Augen der kleinen Ardullo angerichtet hatte. Konnte es sein, dass ich sein Gebrabbel Heidi gegenüber doch vorschnell abgetan hatte?
Aber vielleicht gab es auch eine einfache Erklärung: Ciaire hatte von der Sache mit den Augen erfahren und mit ihm darüber gesprochen. Hatte das etwas bei ihm wachgerufen - Schuldgefühle, Erregung oder eine grausige Nostalgie?
Augen hin, Deckel zu. Gehörte der Deckel zu einem Sarg? Peakes Vorstellung von einem toten Kind. Durchlebte er das Verbrechen noch einmal und zehrte von der Erinnerung wie ein Lustmörder?
Alles lief darauf hinaus, dass wir mehr über Ciaire in Erfahrung bringen mussten, und bis dato hatte ihr Geist sich einfach nicht fassen lassen.
Ich fuhr nach Westwood und benutzte den Computer in der Forschungsbibliothek der Uni, um Einzelheiten über das Ardullo-Massaker zu recherchieren. Die Morde waren eine Woche lang landesweit in den Zeitungen abgehandelt worden. Die Liste der Quellenangaben im Zeitschriftenindex umfasste eine halbe Seite, also ging ich zum Mikrofilmarchiv.
Die meisten Artikel stimmten Wort für Wort überein, was nicht weiter verwunderlich war, weil einfach die komplette Agenturmeldung übernommen worden war. Ein Foto von dem jungen Ardis Peake bei seiner Verhaftung - das Gesicht zu einer hohlwangigen Maske erstarrt, jedoch im Gegensatz zu heute mit langen, strähnigen dunklen Haaren.
Die Augen erfüllt von einem wilden Glanz wie bei einem Tier, das in die Enge getrieben war. Münchs schreiender Mann auf Düsentreibstoff.
Ein riesiger Bluterguss unter seinem linken Auge, die linke Gesichtshälfte angeschwollen. Gewaltsame Festnahme? Wenn ja, dann stand darüber jedenfalls nichts in den Berichten.
Was die Fakten anging, hatte meine Erinnerung mich nicht getrogen. Eine Vielzahl von Stichwunden, schwerste Schädelfrakturen, ausgiebige Verstümmelung der Leichen, Kannibalismus.
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