Monster (German Edition)
peitschen ihm die Wangen und versuchen Benjamins Augen zu erwischen, er bricht sie ab. Geröll versucht ihn zu Fall zu bringen, er kickt die Steine beiseite. Benjamin keucht, während er querfeldein den sanft abfallenden Berg runtergeht.
Runter, runter, runter.
Dann bleibt er plötzlich stehen.
Vor ihm teilt ein Weg den Wald, eine schwarze Narbe aus Matsch und tiefen Reifenspuren. Der Schlamm macht Benjamin wütend. Als wolle diese alberne Schneise ihm sagen, dass er nicht willkommen ist. Dass er nichts auf diesem Weg zu suchen hat. Ach ja? Trotzig stapft Benjamin los.
Dein Fuß versinkt, der Pfad schluckt deinen Fuß bis über den Rand des neuen Wanderstiefels und schließt sich ganz selbstverständlich um den Knöchel.
Der nächste Schritt lässt Benjamins anderen Fuß versinken. Er spürt, wie die kühle Brühe in seine Schuhe sickert, und lässt es geschehen. Wartet still ab, bis die Strümpfe sich vollgesogen haben, wie das Blut in den Füßen die Feuchtigkeit erwärmt.
Erst dann marschiert er los. Durch den Fluss aus Schlamm. Schritt für Schritt mit einem Schmatzen. Obszöne Geräusche. Seine Schuhe sehen nicht mehr aus wie Schuhe. Sie sind nur noch zwei schwarz glänzende Matschklumpen, die nichts mehr mit seinem Körper zu tun haben. Produkte einer seltenen Krankheit, die Füße zu Erde anschwellen lässt.
Du hast nichts mehr mit deinem Körper zu tun und das Gehen hat nichts mehr mit dem Weg zu tun.
Nirgendwo mehr hinwollen. Nur noch Schritte machen. Einen Schritt machen. Und dann noch einen. Das ist alles.
Schritt, Schritt, Schritt.
Gehen, gehen, gehen.
»Sie können auch einfach am Rand entlangspazieren. Die hochgewachsenen Gräser geben guten Halt in diesem Sumpf.«
Durch kreisrunde Brillengläser blickt der Mann Benjamin freundlich an.
»Ja, der Zustand der Forstwege kann einen zur Verzweiflung treiben. Aber so holen Sie sich Blasen an den Füßen. Bei dem ganzen Schlamm im Schuh kann sich das leicht entzünden und unschön werden.«
»Vertrauen Sie meiner Frau. Sie ist Ärztin.«
»Landärztin – und seit fast zehn Jahren im Ruhestand. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft also wohl eher eine alte Quacksalberin mit ein paar Kräutern im Schrank. Sie haben heute ja eine ganz andere Wissenschaft, als wir damals hatten.«
Benjamin steht mitten auf dem Weg, beide Füße bis zu den Knöcheln im Schlamm. Er muss aussehen wie ein Idiot, ein Idiot, der auf Baum macht. Ihm ist klar, dass er jetzt etwas sagen muss.
Oder jetzt.
Oder jetzt.
Oder jetzt.
Nur ein Satz oder ein Gruß mit normaler Stimme, damit er nicht wie ein Irrer erscheint. Damit er kein Irrer ist. Aber er weiß gar nicht, ob seine normale Stimme gerade verfügbar ist.
Die Zeit läuft. Mit jeder Sekunde, die er nichts zu dem alten Paar sagt, werden sie ihn mehr für einen Verrückten halten, so viel ist klar.
Sie tragen Goretex-Jacken im Partnerlook. Er rot, sie blau. Beide haben kleine Rucksäcke auf, Nordic-Walking-Stöcke baumeln an Schlaufen von ihren Handgelenken.
»Sind Sie von hier?«, bringt Benjamin schließlich hervor.
»Ich schon, aber meine Frau ist eine Zugezogene.«
»Ja«, sagt sie, »so nennt man das hier wohl. Ich lebe erst seit etwas mehr als fünfzig Jahren in dieser Gegend.«
»Aber damals, als sie herkam, habe ich sie mir gleich geschnappt. Gott lässt nicht oft frisches Blut in diesen Genpool laufen, wenn Sie wissen, was ich meine. Besonders nicht auf zwei so hübschen Beinen.«
»Was machen Sie denn hier?«
»Das sollten wir Sie fragen, junger Mann. Wir gehen hier einmal die Woche raus, um Pilze zu sammeln. Ansonsten kann man in dieser Ecke wirklich nicht viel unternehmen. Auf keinen Fall gemütlich wandern, wenn Sie verstehen, was ich meine. Der Forstweg hier ist nämlich immer ein einziger Schlamassel. Das Wasser aus einem der höher gelegenen Sümpfe läuft hierhin ab. Pilze wachsen hier allerdings vorzüglich. Und da hinten sind ein paar Weiden, lassen Sie es mich so sagen: Wenn Sie sich nicht zu schade sind, einen Morgen lang in kaltem Kuhdung zu wühlen, haben Sie hier in kürzester Zeit die leckersten Pilze beisammen.«
»Schauen Sie«, sagt die Frau und zieht eine Plastikbox aus ihrem Rucksack hervor, »wohnen Sie in einem Hotel? Oder bei Bekannten? Wenn sie einen Herd zur Verfügung haben, können Sie ein paar Pilze mitnehmen?«
»Nein danke, ich wohne in einem Hotel. Da könnte ich gar nichts damit anfangen.«
»Ach so, in welchem denn?«
»Entschuldigen Sie, ich muss jetzt leider
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