Monster (German Edition)
nicht loszuheulen.
Immer wenn er bei ihm sitzt, hält Ninas Opa den Band auf seinen Knien, blättert zittrig darin herum, schiebt mit seinen Spiddelfingern eine Leselupe über die Seiten. Vielleicht, um dem Jungen etwas Spannendes zu bieten, vielleicht, weil das komische Kerlchen in seinen kurzen Shorts und den ausgewaschenen T-Shirts ihn langweilt. Manchmal sitzt er Minuten nur so da, blättert, murmelt. Immer über diesem Buch.
Jetzt sucht er eine andere Stelle. Die Lupe rutscht von den Seiten runter auf den Boden, er versucht sich vorzubeugen, sie aufzuheben, das Kolumbusbuch rutscht von seinen Knien und poltert auf den Veloursteppich.
Ninas Großvater zeigt mit zittriger Hand auf seine Beine im Rollstuhl.
Er lehnt sich zurück, und Wasser schießt ihm in die Augen.
»Was hab ich gesagt?« Er schaut den Jungen in seinem Zimmer an, als hätte der sich gerade vor ihm materialisiert. »Oder was hab ich grad gesagt?«
»Keine Ahnung, was Sie gesagt haben«, sagt Benjamin und hebt das Buch auf. »Irgendwas mit Indios.«
»Kolumbus hat sie alle niedergemacht, dummer Junge«, sagt Ninas Großvater, »er ist los über die Insel oder seine Männer mit ihren Musketen und Rüstungen und auf Pferden. Und die Indios hatten nichts. Die Indios hatten einen Scheiß. Und dann hat er sie alle niedergemacht.«
Benjamin hält das Buch des alten Mannes immer noch in der Hand. Er könnte es jetzt einfach in seinen Rucksack stopfen.
Als Benjamin klein war, richtig klein, hat er einen Sommer lang Fliegen die Flügel und Beine rausgerissen. In immer unterschiedlichen Kombinationen. Egal, was man denen rausreißt. Fliegen leben weiter, als wäre nichts passiert. Alle Beine dran, die Flügel ab. Dann laufen sie eben einfach weiter. Als wäre nichts gewesen. Als wären die nie geflogen.
Die Flügel dran, die Beine ab.
Die sterben nicht.
Den linken Flügel ab, die linken Beine auch.
Nicht mal nach Tagen.
Die Flügel ab, nur die Vorderbeine dran.
Machen einfach weiter.
Auch ganz ohne Beine und Flügel.
Der kleine schwarze Rüssel rollt sich.
Immer rein, immer raus.
Sie ziehen sich aus, und Nina fragt: »Findest du mich schön?«
Er dreht sich weg und lässt die Unterhose an seinen Beinen runterrutschen.
»Gefällt dir mein Po?«
»Magst du meine Brüste?«
Sie legt sich auf ihr Bett und biegt das Kreuz durch.
Ein Einhornaufkleber auf dem Kleiderschrankspiegel schaut unverschämt zu ihm runter. Auf ihrer Tapete sind echt aussehende Wolken, die aber gemalt sind. In einer Glasvitrine steht eine Reihe bunter Gläser. In jedem steckt ein wirr verbogener Strohhalm.
Sie sagt: »Findest du, dass meine Haut weich ist?«
Sie sagt: »Wie weich findest du meine Haut?«
Sie sagt: »Magst du meine Lippen?«
Nina setzt sich auf ihn. Sie leckt sich über die Finger, macht mit den nassen Fingern zwischen ihren Beinen rum. Dann steckt sie seinen Penis in sich rein. Sie sind jetzt seit eineinhalb Wochen zusammen.
»Willst du immer mit mir zusammen sein?«
Sie lässt seinen Penis in sich hineinrutschen, und er kommt, noch bevor er richtig drin ist.
Er sagt nichts. Er lässt sie machen. Es fühlt sich unangenehm an.
Er versucht, an etwas anderes zu denken. Er denkt an das Einhorn.
Da sind ihre wippenden Brüste über ihm und noch einmal im Schrankspiegel. Schräg darüber das Einhorn.
Er ist das Einhorn und guckt vom Spiegel auf sich runter. Er ist blass und blassblond. Obwohl er ständig mit ihr an den nervenden Fluss mit ihren nervenden Freundinnen geht. Er ist das Einhorn, auf das sie gewartet hat. Er ist gekommen, damit sie sich an ihm aufspießen kann.
»Liebst du mich?«, will sie wissen.
Sie sitzt auf ihm, wirft ihre dicken, gelben Haare in den Nacken. »Liebst.« Sie konzentriert sich, ordentliche Kreise mit ihrem Becken zu machen. Das ist wirklich ziemlich irre, wie wichtig ihr diese Kreise sind. »Du.« Als würde es darauf ankommen, den Kreis ganz rund zu machen. »Mich.«
Einhörner können nicht sprechen.
»Liebst du mich?«
Einhörner können nicht sprechen.
Sein Penis glitscht schlaff aus ihr raus und legt sich auf seinen Bauch wie ein erstickter Wurm. Sie schaut ihn mit ihren merkwürdig runden Augen an.
»Sag’s jetzt eben einfach mal: Liebst du mich?«
Ninas Opa hat ein Schiff. Es hat Staub geladen, massenweise Staub. Eine dicke Schicht liegt auf Deck. Die Gewebe der Segel sind trocken grau. Spinnenweben, Geisterschiffseile hängen zwischen den Masten. Sogar die Spinnenweben sind staubig. Das
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