Monster (German Edition)
überfahren, als er mit seinem BMX-Rad über die Bundesstraße ist. Er war sofort tot. Das habe ich aber erst ein paar Jahre später erfahren. Aber das ist gar kein Problem. Das ist Jahre her. Meine Eltern sind auch schon tot.
Atavismen
1
»Schieben Sie abends vor dem Schlafengehen auch wirklich die Sicherheitsriegel vor die Tür? Aus Paris, K&S«
Es geht nicht, wenn du an Mädchen denkst.
Es geht einfach nicht.
Völlig unmöglich.
Du kannst es versuchen.
Es geht nicht, wenn du an den Spalt denkst. Die Haare darum, stumpf und struppig oder glänzend, weich und zart wie Kaninchenfell. Wie auch immer.
Es geht nicht, wenn du dir ihre Dinger vorstellst. Flache oder große. Hängende mit uferlosen, rosafarbenen Nippeln. Kleine feste mit harten, fliederfarbenen. Oder ganz steif vor Kälte.
Oder sonst was.
Denk dran.
Bringt nichts.
Ein unauflöslicher Widerspruch, eine Wissenschaft für sich. Es geht nur, wenn du deinen Kopf vollkommen leer machst.
Vollkommen.
Die reinste Meditation.
»Lassen Sie unter allen Umständen jeden Abend alle Fenster und Rollos herunter. Aus Venedig, K&S«
»Denken Sie auch immer daran, abends die Alarmanlage einzuschalten? Aus Moskau, K&S«
Ich hatte gedacht, auf das Haus von Fremden aufzupassen, ist einfach. Die Post aus dem Briefkasten holen, die Katze rauslassen, den Rasen mähen, die Katze füttern, Anrufe beantworten, vielleicht mal eine kaputte Glühbirne austauschen, die Katze wieder reinlassen, die Beete harken, die Katze begutachten, ihre Pfoten, ihr langes, seidiges Fell. Die Ballen und Zwischenräume mit einem weichen Schwamm reinigen, wenn sie abends hereinkommt. Das Fell mit einer Bürste auskämmen, auf der »FURminator deLuxe« steht.
Haussitting, ein Superjob. Kaum was zu tun. Fernsehen, rumhängen, fertig. Hab ich gedacht. Von wegen.
Allein das Fernsehen. Soll ich im Wohnzimmer auf dem Sessel sitzen, oder darf ich es mir auf der weißen Ledercouch bequem machen? Und wenn ja, ist es okay, wenn ich mich drauflege? Füße hoch oder runter? Darf ich meinen Kopf auf die Kissen mit dem knubbeligen Naturseidebezug legen? Machen die das? Was sind das für Menschen? Wie benutzen die all die Sachen in ihrem riesigen Haus? Diese Tonnen von Dingen, die sie angehäuft haben. Hier ist in jedem einzelnen Raum so viel wie bei mir insgesamt.
In einem fremden Haus wie diesem zu sein ist nicht leicht. Es ist wie diese Mutprobe, bei der man im Frühling über einen zugefrorenen See geht. Tauwetter. Schneeglöckchen, die ihre Köpfe rausstecken. Strahlender Sonnenschein. Posterwetter. Aber du glotzt nur auf das Eis, die hauchdünnen Risse. Alles, was nicht in Ordnung ist mit dem Eis. Das Styroporquietschen, das Glucksen, die wabernden Luftblasen unter deinen Füßen. Der Frühling ist dir egal, du willst nur nicht einbrechen in diese unheimliche Gegenwelt unter dem Spiegel.
Lebensmittel. Durfte ich nur die im Kühlschrank aufbrauchen, oder kann ich mich auch über die Vorräte in der Vorratskammer hermachen? Wann hat man schon mal die Chance, glitschige Muscheln aus dem Glas zu probieren oder schwarze Fischeier in eishockeypuckförmigen Minidosen? Verstaubte Weinflaschen, riesige Fleischstücke, die noch am Knochen hängen. Dieses ganze Zeug gibt es hier.
Und das mit den Badezimmern. Es gibt das Gästebad mit Dusche, das direkt von meinem Zimmer abgeht. Aber den Flur runter, letzte Tür links wartet eine Riesenbadewanne mit Whirlpoolfunktion im marmorgefliesten Luxusbad. Glauben die wirklich, dass ich da widerstehen kann? Und wenn ich schon mal da bin. Darf ich nur das Shampoo benutzen? Oder auch das Rasierwasser? Und ist es okay, wenn ich mir manchmal die Sauna im Keller einheize?
Aber am schlimmsten ist Margarita. So heißt die Putzfrau. Alle paar Tage taucht sie auf und macht sauber. Sie feudelt den Boden, wedelt die Regale ab. Die ganze Zeit schüttelt sie dabei fast unmerklich den Kopf auf ihrem faltigen Hals, führt flüsterleise Selbstgespräche auf Spanisch. Geräusche, als würde trockenes Laub über die Fliesen geweht.
Sie hat eine platte Ureinwohnernase passend zu ihrer Sprache. Spanisch, die Sprache der Voodoopriester und Kannibalen. Margaritas Vorvorvorvorvorfahre ganz oben auf einer dieser Stufenpyramiden, eine dunkelrote Sonne im Rücken, einen abgehackten Kopf in der Hand, ein grausamer Inkaherrscher, der das Blut seiner Feinde trinkt.
Am Ende lässt sie immer ein paar Lebensmittel mitgehen. Die Hausherren haben mir mit verschwörerischem Unterton
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