Monströse Welten 1: Gras
Gebüsch auf, um ihr eine gewisse Privatsphäre zu schaffen. Als sie zurückkam, wies er ihr die Richtung, und dankbar für seine Hilfe ging sie dorthin. Dann trat Stille ein, die nur durch Mainoas leises, schnurrendes Schnarchen, die entfernten Rufe der Peepers in der Prärie und die Laute der unbekannten Sumpfbewohner unterbrochen wurde.
Marjorie hatte zwar geglaubt, sie würde keinen Schlaf finden, aber sie wurde sofort von einer bleiernen Müdigkeit überwältigt. Sie fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Die Zeit verstrich, ohne daß sie sich dessen bewußt geworden wäre. Irgendwann wurde sie wachgerüttelt.
»Ma’am«, sagte Rillibee. »Ich habe etwas gehört.«
Sie setzte sich auf. »Wie spät ist es?«
»Gegen Mitternacht. Hören Sie, Lady. Ich bin durch Geräusche geweckt worden. Vielleicht sind es Menschen?«
Sie hielt die Luft an. Dann hörte sie es auch – sie –, Stimmen, die von einer leichten Brise, die in der Nacht aufgekommen war, zu ihr herübergeweht wurden. Eine Unterhaltung. Zwar in einer fremden Sprache, aber es handelte sich eindeutig um Menschen.
»Wo?« fragte sie atemlos.
Er legte ihr die Hand auf die Wange und drehte ihren Kopf in die entsprechende Richtung. Nun hörte sie die Stimmen deutlicher. »Licht«, flüsterte sie.
Er hielt bereits eine Taschenlampe in der Hand, die einen trüben Lichtkegel abstrahlte. Er reichte ihr auch eine, und dann gingen sie zwischen den Bäumen hindurch, über die Lichtung, wo die Pferde grasten und drangen erneut in den Wald ein. Rillibee zeigte nach oben. Tatsächlich. Die Laute kamen von oben.
Sie war sich nicht mehr sicher, ob es sich wirklich um Menschen handelte. Die Sprache war zu guttural für ein menschliches Idiom. Und doch…
»Wie die Geräusche im Arbai-Dorf«, sagte sie.
Er nickte und schaute nach oben. »Ich klettere hinauf«, sagte er.
Sie hielt ihn zurück. »Sie sehen doch überhaupt nichts.«
Er schüttelte den Kopf. »Dann werde ich mich eben vorwärtstasten. Warten Sie nicht auf mich. Gehen Sie wieder zu den anderen.«
»Sie werden herunterfallen!«
Er lachte. »Ich? Lady, in der Abtei nennt man mich ›Kletter-Willi‹. Ich habe Finger wie ein Baumfrosch und Zehen wie eine Eidechse. Ich habe Kleber an den Knien und die Trittsicherheit einer Bergziege. Ich werde genausowenig fallen wie ein Affe, der sich von einer Liane zur anderen schwingt. Gehen Sie zu den anderen zurück, Lady.« Und weg war er; er hatte sich die Taschenlampe um den Hals gehängt und erklomm mit affenartiger Gewandtheit den Baum. Bald war das Licht verschwunden.
Sie ging den Weg, den sie gekommen waren, zurück, wobei sie sicher war, daß sie jetzt bestimmt nicht mehr einschlafen würde. Und doch wurde sie wieder vom Schlaf überwältigt, kaum daß sie sich hingelegt hatte. Sie fand nur noch die Zeit, sich zu fragen, was Bruder Lourai wohl zwischen den Ästen finden würde.
In der Abtei saß der Ältere Bruder Fuasoi noch zu später Stunde am Schreibtisch und blätterte verärgert in einem Buch. Yavi Foosh saß gähnend auf einem Stuhl und hielt sich krampfhaft wach.
»Noch keine Nachricht von Mainoa und Lourai?« fragte Fuasoi vielleicht schon zum zehnten Mal.
»Nein, Älterer Bruder.«
»Und sie haben auch nicht gesagt, wohin sie gehen?«
»Wem hätten sie es denn sagen sollen, Älterer Bruder? Mainoa und Lourai waren doch allein in den Ruinen. Und die Bibliothek hatte vor drei Tagen Schichtwechsel. Shoethai und ich wollten Mainoa heute abend Verstärkung schicken, aber er war nicht da. Und Lourai auch nicht. Wir haben alles abgesucht, Älterer Bruder.« Er seufzte enerviert. Er hatte die Geschichte nun schon zum vierten Mal erzählt.
»Und wo hast du dieses Buch gefunden?«
»Shoethai hat es gefunden, Älterer Bruder. Auf Bruder Mainoas Arbeitstisch. Weil sie weg waren, dachte er, sie hätten vielleicht eine Nachricht hinterlassen. Andere Aufzeichnungen als das Buch hat Shoethai nicht gefunden. Er hat es gleich zu Ihnen gebracht.«
Fuasoi starrte auf das Buch. Offensichtlich war es neu; nur ein paar Seiten waren beschrieben. Aber diese handschriftlich von Bruder Mainoa verfaßten Seiten hatten es in sich. Mutmaßungen bezüglich der Pest. Die Frage, ob Gras nicht auch schon infiziert war. Spekulationen hinsichtlich der Moldies und einer eventuellen Infiltration von Gras. Falls ja, welche Pläne sie verfolgten. Ein Dossier über die Leute auf Opal Hill und ihre Tätigkeit, die darin bestand, die Bestrebungen der Moldies zu vereiteln.
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