Monströse Welten 1: Gras
bestraft werden mußten. In ihrem Fall mußte man nicht erst die Pest abwarten, denn sie waren der Neuen Schöpfung ohnehin nicht würdig.
»Haben sie dich verletzt?« fragte der Ältere Bruder, dem plötzlich das Blitzen in Shoethais intaktem Auge auffiel.
Shoethai runzelte die Stirn und kratzte an einer verschorften Wunde an der Wange; genüßlich leckte er das Blut vom Finger. »O nein, Älterer Bruder. Nur deshalb, weil sie immer damit prahlen, wen sie als nächstes fertigmachen wollen.« Den Gleiter erwähnte er nicht mehr. Vielleicht sollte er dem Älteren Bruder nicht verraten, was er vorhatte. Wenn Bones und die anderen dann nicht zurückkamen, würde der Verdacht auch nicht auf ihn fallen.
Nachdem Yavi Foosh das Büro des Älteren Bruders Fuasoi verlassen hatte, meldete er sich sofort im Büro des Älteren Bruders Jhamless Zoe. Er wartete eine halbe Stunde auf seinen Vorgesetzten.
»Was hat Fuasoi jetzt vor?« wollte Jhamless wissen.
»Shoethai hat ein Buch gefunden, das Bruder Mainoa geschrieben hat, und er hat es Fuasoi gegeben. Und Fuasoi regt sich nun darüber auf.«
»Was steht in dem Buch?«
»Ich weiß nicht, Älterer Bruder. Shoethai hat es mir nicht gezeigt.«
»Er hätte es mir bringen müssen!«
»Natürlich hätte er das tun müssen, Älterer Bruder, aber er hat es nicht getan. Ich habe ihm sogar gesagt, er müßte es bei Ihnen abliefern. Weil der Ältere Bruder Fuasoi aber sein Intimfreund ist, hat er es ihm gegeben.«
»Ich werde selbst einmal nachsehen, was dort vorgeht.« Der Ältere Bruder Jhamless erhob sich vom Stuhl und ging durch die Halle. Yavi Foosh hielt sich in gebührendem Abstand. Er wollte nicht als Jhamless’ Informant enttarnt werden, so wie Shoethai als Fuasois Informant aufgeflogen war. Wenn das erst einmal passiert war, hatte man keine Ruhe mehr.
Die Bürotür stand offen. Der Raum selbst war leer. Nach einer Weile trat Jhamless ein und öffnete die Schreibtischschublade. »Ist es das?« fragte er und winkte Yavi mit dem Buch herbei.
Yavi nickte. »Das muß es sein.«
»Du wirst über diesen Vorgang Stillschweigen bewahren?«
Yavi nickte. Natürlich würde er schweigen. Selbst wenn Jhamless Zoe alle Bücher der Welt an sich genommen hätte, würde Yavi kein Wort sagen.
Rillibee kletterte einen mächtigen Baum empor, wobei er eine holzige Ranke als ›Wendeltreppe‹ nutzte, die sich um einen Stamm nach oben wand bis zu einer Astgabel. Er hangelte sich von einem Ast zum anderen, von einer Ranke zur anderen, bis er auf die Baumrinde stieß. Er jonglierte beim Klettern mit der Taschenlampe und hängte sie in den Mund, wenn er beide Hände benötigte. Als er die unterste Lage des Blätterdachs erreichte, bekam er einen Überblick über den ganzen Wald. Die Blätter glühten, oder waren es irgendwelche fluoreszierenden Kreaturen? Dort, wo die Äste aus den Stämmen wuchsen, standen grüne Pfützen; gelbe Linien markierten Zweige, und blaue Punkte stachen leuchtend aus indigofarbenen Massen hervor. Die Äste hoben sich als Silhouetten von diesem glühenden Nebel ab, und er kletterte über dunkle Strukturen, die von leuchtenden Schemen überlagert wurden.
Eine leichte Brise rauschte durch die Blätter und trug eine Wolke aus geflügelten pinkfarbenen Blüten heran. Als der Wind sich legte, ballten sie sich zusammen und verwandelten einen Schößling in eine Flamme. Größere Flügler, mit der Farbe und dem Geruch von Melonen, schwebten langsam von Ast zu Ast, wobei die dort ruhenden Wesen die Gestalt von Bechern annahmen, in denen ein goldenes Licht pulsierte, um weitere Flügler anzulocken. Sie kamen in Violett und einem hellen Blau, das fast schon weiß war.
»Joshua«, flüsterte Rillibee. »Das hätte dir gefallen. Miriam, dir… dir hätte das auch gefallen.«
»Himmel«, sagte der Papagei von einem Baumwipfel. »Gestorben. Jetzt im Himmel.«
Blätter streiften sein Gesicht und sonderten ein süßes Harz ab. Er stieß mit dem Arm gegen eine harte Frucht. Er pflückte sie, roch daran und biß hinein. Sie war knackig, und der süßsaure Saft rann ihm in den Mund; er spürte ein Prickeln, als ob die Frucht kohlensäurehaltig gewesen wäre.
Die Geräusche, die er auf dem Boden gehört hatte, umgaben ihn nun von allen Seiten. Stimmen. Einer lachte. Ein anderer schien einem aufmerksamen Publikum eine lange Geschichte vorzutragen, wobei er immer wieder glucksende Laute ausstieß. »Ihr werdet es nicht glauben, aber…« – »Und was glaubt ihr, ist dann
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