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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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und Kuppeln, Zelte und konische Türme, geflochtene Wände und Gitterfenster –, die wie Früchte an den Ästen der Bäume hingen. Verbunden wurden sie durch Stege aus Flechtwerk und Hängebrücken. Über ihnen hingen Pergolas, schattige Lauben und verzierte Pavillons, die über Leitern zu erreichen waren. Filigrane Häuser hingen wie Nester in den Baumkronen.
    Die Bewohner riefen aus den Fenstern, unterhielten sich in den Zimmern und auf den Straßen, wobei die Geräuschkulisse in Intervallen an- und abschwoll. Schemenhafte Gestalten versammelten sich auf den Brücken. Eine ganze Gruppe kam aus einem Hauseingang ins Sonnenlicht geeilt, wobei die Blätter zu applaudieren schienen. Es waren grazile Wesen, die nur entfernt an Reptilien erinnerten. Lachend und mit ausgestreckter Hand begrüßten sie sich.
    Aber da war niemand.
    Ein Liebespaar lehnte händchenhaltend am Brückengeländer. Rillibee ging mitten durch sie hindurch, wobei ihre Körper wie Glas zersplitterten. Hinter ihm manifestierten sie sich wieder und schauten sich verliebt in die Augen.
    »Gespenster«, sagte Tony atemlos. »Mutter…«
    »Nein«, sagte sie, wobei ihr beim Anblick des Liebespaars Tränen über die Wangen liefen. »Holos, Tony. Sie haben sie hier zurückgelassen. Die Projektoren müssen irgendwo in den Bäumen sein.«
    »Sie haben sie aufgestellt«, erklärte Mainoa. »Als es zu Ende ging. Als sie immer weniger wurden. Damit die letzten Überlebenden Gesellschaft hatten.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Man hat es mir gesagt«, erwiderte er. »Gerade eben. Und es paßt auch zu den anderen Dingen, die ich seit unserem Essen auf Opal Hill erfahren habe.«
    »Die Sprache…«, sagte Marjorie mit großen Augen.
    »Ja, die Sprache.«
    »Ich war so in Sorge um Stella, daß ich ganz vergessen habe, zu fragen…«
    »Die großen Maschinen auf Semling haben sich mit dem Problem befaßt und schließlich ein Ergebnis geliefert. Die Maschinen sind in der Lage, die Bücher der Arbai zu übersetzen. Einige. Zumindest halbwegs. Die eine Hälfte lesen sie, die andere erraten sie. Der Schlüssel lag in den Ranken an den Türen. Auf diese Idee sind wir überhaupt nicht gekommen.«
    »Und die Schnitzereien selbst?«
    »Die haben sie auch enträtselt.«
    »Was besagen sie?«
    Bruder Mainoa schüttelte den Kopf. Das Lachen blieb ihm im Halse stecken; statt dessen krümmte er sich unter einem Hustenanfall. »Sie besagen, daß die Arbai so gestorben seien, wie sie gelebt hätten, gemäß ihrer Philosophie.«
    »Hier?«
    »Draußen in der Ebene sind sie schnell gestorben. Hier in den Bäumen sind sie langsam gestorben. Ihre Philosophie hat es ihnen untersagt, ein Lebewesen zu töten. Die Hippae hatten ihre Verwandten in der Stadt abgeschlachtet. Die Einwohner dieser Sommerstadt wären in der Ebene nicht mehr sicher gewesen. Sie wollten nicht sterben. Deshalb haben sie den ganzen Sommer hier verbracht, und als der Winter kam, sind sie einer nach dem anderen gestorben, im Bewußtsein, daß sie die letzten ihrer Art im ganzen Universum waren.«
    »Wie lange ist das her?«
    »Jahrhunderte. Gras- Jahrhunderte.«
    Sie betrachtete die Häuser aus Flechtwerk und schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Diese Strukturen hätten nicht so lange überdauert. Die Bäume müßten schon abgestorben sein. Und die Hängebrücken wären längst verrottet.«
    »Nicht wenn sie ständig erneuert würden. Nicht wenn sie instandgehalten würden.«
    »Und von wem?«
    »Ja, Marjorie, von wem? Diese Frage stellen wir uns alle, nicht wahr? Ja. Ich glaube, wir werden ihnen sehr bald begegnen.«
    Rillibee führte sie die geflochtenen Straßen entlang, bis der Weg sich verbreiterte und in einer breiten Plattform mündete, mit einem Rokoko-Geländer und einem Dach, das an einen Zauberhut erinnerte und auf gedrechselten Pfosten ruhte.
    Das Gemeindezentrum, sagte Marjorie sich. Der Stadtpark. Die Versammlungshalle, durch die der Wind strich und in der man die Vögel zwitschern hörte. Überall flanierten schemenhafte Gestalten, tanzten und begrüßten sich; die Schatten waren so manifest, daß die Menschen die mächtige Gestalt, die über die Plattform auf sie zuwatschelte, zunächst auch für einen Schatten hielten. Als sie schließlich ihren Irrtum erkannten, griff Tony nach dem Messer.
    »Nein«, sagte Bruder Mainoa und legte dem Jungen die Hand auf den Arm. »Nein.« Er ging auf die Gestalt zu, die er schon so lange mit dem Auge anstatt im Geiste sehen wollte. »Nein. Er wird uns nichts

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