Monströse Welten 1: Gras
Er hat zwar noch geatmet, aber er konnte die Beine nicht mehr bewegen. Ich glaube, er ist gelähmt.«
»Solche Verletzungen sind heilbar.«
»Zum Teil.« Sie starteten den Gleiter und nahmen erneut Kurs auf Opal Hill. Sie waren noch nicht allzu weit geflogen, als sie die Feuerwand sahen, die sich über das Grasland wälzte und über der Estancia zusammenschlug.
»Also«, murmelte Persun, »war ich doch nicht hysterisch. Vater hatte mir das nämlich unterstellt.«
»Freust du dich denn darüber?« fragte Sebastian und ging in eine langgestreckte Kurve, um die Feuersbrunst aus der Luft zu überschauen. »Aber es wäre doch wohl besser, man würde dich als Hysteriker bezeichnen und Opal Hill wäre unversehrt?! Ich habe die Täfelung mit der Schnitzerei gesehen, die du für das Arbeitszimmer der Lady angefertigt hast. So etwas Schönes hatte ich lange nicht mehr gesehen. Nein, so etwas Schönes hatte ich überhaupt noch nicht gesehen.«
»Die Hände sind ja noch dran«, überzeugte Persun sich und drehte sie, wobei er sich fragte, ob das auch zuträfe, wenn er nicht so vorsichtig gewesen wäre. »Ich kann eine neue Schnitzerei anfertigen.« Wenn Marjorie in Sicherheit war, würde er eine neue Täfelung schnitzen. Aber nur für sie.
»Ich dachte, die Gärten hätten die Funktion von Brandschneisen.«
»Stimmt auch. Solange keine brennenden Grasbüschel durch die Gärten geschleift und in die Gebäude getragen werden. In diesem Fall ist das aber geschehen, Sebastian.« Er betrachtete die Ruinen und verkniff sich einen erstaunten Ausruf. »Schau! Sebastian. Sieh dir die Spur an!«
Von Opal Hill in Richtung Sumpfwald zog sich eine schnurgerade Spur durchs Gelände. Das Gras war auf breiter Front niedergetrampelt worden, als ob eine Kolonne von zehntausend Hippae durchgezogen wäre. Die beiden schauten sich konsterniert an.
»Glaubst du, daß sie noch dort unten ist?« flüsterte Sebastian.
Persun nickte. »Ja. Ist sie. Vielmehr war sie es. Irgendwo.«
»Sollen wir…«
»Nein. Schau mal ins Feuer. Hippae. Es müssen Hunderte sein. Einige tanzen in der Nähe der Flammen. Andere folgen dieser breiten Spur. Wie viele müssen es wohl gewesen sein, um eine solche Spur zu hinterlassen? Hunde waren auch dabei. Alle Hunde von Gras müssen dort unten sein. Sie bewegen sich auf Commons zu. Nein, wir können jetzt nicht runtergehen. Wir werden morgen wiederkommen. Wenn das Feuer niedergebrannt ist, suchen wir nach ihr. Vielleicht hat sie es bis zu den Winterquartieren geschafft. Hoffentlich übersteht sie es.«
Den Flammen war Eugenie jedenfalls nicht zum Opfer gefallen. Die Hunde, die vor den Brandstiftern als Vorhut ausgeschwärmt waren, hatten schon dafür gesorgt.
Commons befand sich in Aufruhr. Es kursierten wilde Spekulationen, und die Gerüchteküche kam nicht zur Ruhe. Die Unterbringung von hundert Leuten war kein Problem. Die Winterquartiere waren so groß, daß sie Platz für die gesamte Bevölkerung von Commons und die Dörfler boten; nur die Jüngsten fühlten sich anfangs in den unterirdischen Hallen und Räumen unbehaglich. Die Kavernen hatten schon vor der Ankunft der ersten Menschen existiert, waren dann aber erweitert und bezugsfertig gemacht worden. Jeder, der älter war als ein Gras- Jahr, kannte sie. Die Tiere wurden in den Winterställen untergebracht. Obwohl die diesjährige Heuernte noch nicht eingebracht war, reichten die Reserven an Heu und Futtergetreide aus. Die Versorgung der Menschen gestaltete sich auch nicht allzu problematisch. Routiniert wurden die Winterküchen in Betrieb genommen.
Trotz der reibungslosen Organisation herrschte Unruhe und Besorgnis sowohl unter den Ankömmlingen als auch unter den Einheimischen. Daß eine Estancia niederbrannte, war kein alltäglicher Vorgang. Es war zwar schon vorgekommen, aber vor langer Zeit, in der Großeltern-Generation. Dieses Ereignis mußte erst einmal bewältigt werden. Und die Nervosität steigerte sich noch, als Persun Pollut die Kunde von der breiten Spur brachte, die in Richtung des Sumpfwalds wies. Es war allgemein bekannt, daß die Hippae den Wald nicht durchdringen konnten; und doch… und doch hatten die Leute Zweifel. Sie verspürten Unbehagen und fragten sich, ob dieses Ereignis ein schlechtes Omen war.
Selbst in Portside, im Rotlichtviertel, machte sich Unruhe breit. Saint Teresa und Ducky Johns hatten auch keine Nerven wie Drahtseile. Sie trafen sich am Ende der Sündigen Meile und gingen die Portside Road entlang. Nervös und
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