Monströse Welten 1: Gras
ausbreiten?« fragte Anthony in präzise kalkuliertem, Desinteresse heuchelnden Ton. »Die Straßen oder die Commoners? Weshalb denn nicht?«
Der Obermun errötete. Offensichtlich hatte er sich zu einer spontanen Äußerung hinreißen lassen, die er nun bedauerte. »Die Commoners haben nicht das Bedürfnis, die Stadt zu verlassen. Ich meinte die Straßen, mein Junge. Ich erwarte von dir kein Verständnis für die Angst, die wir vor der Zerstörung des Grases haben. Wir haben keine Bedenken, es abzuernten oder es anderweitig zu nutzen, aber es ist uns ein Greuel, es nachhaltig zu entstellen. Es gibt keine Straßen auf Gras außer den schmalen Pfaden, welche die Estancias mit ihren Dörfern verbinden, und selbst deren Duldung fällt uns schon schwer genug.«
»Findet der Austausch zwischen den Estancias also nur durch die Luft statt?«
»Der Personen- und Gütertransport, ja. Der Informationsaustausch findet über das Telly statt. Die Informationen, die in eurem Knoten auf Opal Hill eingehen, können an bestimmte Empfänger weitergeleitet werden oder zur Korrespondenz mit andernorts benutzt werden. Das Telly verbindet die Estancias mit Commoner Town. Sämtliche Reisen jedoch, die Auslieferung der Importe und der Versand von Exportgütern findet nur durch die Luft statt.«
»Import und Export? Woraus bestehen die denn überwiegend?« Das war Stella, die beschlossen hatte, für den Augenblick ein braves Mädchen zu sein.
»Nun, die Importe bestehen meistens aus Fertigprodukten und Luxusgütern wie Wein und Stoffen«, druckste der Obermun herum. »Woraus die Exporte bestehen, kannst du dir sicher vorstellen: verschiedene Grasprodukte. Gras exportiert Getreide und gefärbte Fasern. Von Commoners, die sich mit solchen Dingen befassen, habe ich gehört, daß die größeren Gräser für die Fertigung von Möbeln begehrt sind. Die Kaufleute vergleichen sie mit terranischem Bambus. Außerdem wird Saatgut exportiert, sowohl für Getreide als auch für Kulturpflanzen. Wie ich gehört habe, gedeihen einige Gräser auch auf anderen Planeten. Aus einigen, die nur hier wachsen, werden wertvolle pharmazeutische Produkte gewonnen. Manche sind sehr ästhetisch, wie du sicher auch schon gesehen hast. Verschiedene Commoner- Firmenzüchten diese Pflanzen in Lizenz. Wir bons haben weder die Muße noch die Neigung, uns selbst mit diesem Geschäft zu befassen. Ich glaube nicht, daß es sehr lukrativ ist, aber wir und die Stadt können davon leben.«
Rigo, der sich an die großen Lagerhäuser und den lebhaften Betrieb auf dem Hafen erinnerte, enthielt sich eines Kommentars. »Und ist es wahr, daß die Gräser nicht mit terranischen Sorten verwandt sind? Sind sie einheimisch? Keine Importe?«
»Nein. Nicht einmal auf der genetischen Ebene gibt es Gemeinsamkeiten. Fast alle Sorten waren schon hier, als wir ankamen. Die Grünen Brüder haben ein paar Hybride gezüchtet, um bestimmte Farbeffekte zu erzielen. Du hast doch schon von den Grünen Brüdern gehört?« Im Grunde war das überhaupt keine Frage, denn der Mann schaute aus dem Fenster des Fluggeräts, wobei die Konturen des Kiefers und Mundes Unbehagen verrieten. Das ganze bisherige Gespräch war ihm unangenehm gewesen. »Sie sind schon vor langer Zeit hierher geschickt worden, um die Ruinen der Stadt Arbai auszugraben, und das Gärtnern ist eine Art Hobby.«
Marjorie war froh, daß das Thema gewechselt wurde. »Ich wußte gar nicht, daß es eine Arbai-Ruine auf Gras gibt.«
»O ja, im Norden. Die Brüder sind schon sehr lange mit den Grabungen zugange. Ich habe gehört, sie sei wie die meisten dieser Städte, flach und weitläufig, was es ziemlich aufwendig macht, sie freizulegen. Ich habe sie selbst noch nicht gesehen.« Sein Desinteresse war mit Händen zu greifen.
Erneut wechselte Marjorie das Thema. »Werden wir heute die Gelegenheit haben, irgendwelchen Mitgliedern Ihrer Familie zu begegnen, Obermun?«
»Meiner?« fragte er überrascht. »Nein, nein. Die Jagd ist noch immer bei den bon Damfels’. Während dieser Periode wird sie auch bei den bon Damfels’ bleiben und dann an die bon Maukerdens übergehen.«
»Oh«, sagte Marjorie erstaunt und fragte, ohne nachzudenken: »Ich dachte, Sie hätten gesagt, die bon Damfels’ hätten einen Trauerfall.«
»Natürlich«, erwiderte er ungeduldig. »Aber deshalb würden sie doch nicht die Jagd unterbrechen.«
Rigo warf ihr einen warnenden Blick zu, den sie geflissentlich ignorierte; unschuldig erkundigte sie sich: »Werden die
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