Monströse Welten 1: Gras
Stavenger die Hände und wickelte sich die Riemen um die Finger. ›Zügel‹, spekulierte Marjorie streiflichtartig und korrigierte sich gleich darauf selbst: ›Nein, keine Zügel‹, denn die Riemen dienten offensichtlich nur zum Festhalten, um die Hände irgendwo zu fixieren. Sie wären nicht dazu geeignet gewesen, das riesige Tier zu lenken. Beim Versuch, sich an den rasiermesserscharfen Knochen festzuhalten, hätte man sich die Finger abgetrennt. Man konnte sich auch nicht nach vorne beugen, ohne sich selbst aufzuspießen. Also mußte man sich zurücklehnen, was eine große Belastung für die Wirbelsäule darstellte und schon nach kurzer Zeit starke Schmerzen verursachte. Andernfalls… andernfalls würde man von diesen Knochen gepfählt.
Über den mächtigen Brustkorb des Tieres zog sich eine Reihe von tiefen Pockennarben, in die Stavenger die spitzen Stiefel rammte und sich so zusätzlichen Halt verschaffte. Der Bauch war nur wenige Zentimeter von den Klingen entfernt. Auf seinem Rücken hing etwas, das wie ein schmaler, überlanger Köcher aussah. Als das Reittier sich auf der Hinterhand drehte, musterte Stavenger Marjorie mit eiskaltem Blick. Sein Gesicht war nicht nur ausdruckslos, sondern es wirkte nachgerade wie blankgeputzt. Rein gar nichts. Er traf keine Anstalten, zu dem Tier zu sprechen oder es auf irgendeine Art und Weise anzutreiben. Es ging, wohin es ihm beliebte, und er mußte sich fügen. Dann trat ein anderes Exemplar der Hippae auf einen Reiter zu, worauf dieser gleichfalls aufsaß.
Marjorie hielt noch immer Tonys Hand, drehte sich zu ihm um und schaute ihn mit einem warnenden Blick an. Er war leichenblaß. Stella schwitzte und hatte einen fiebrigen Ausdruck in den Augen. Marjorie schauderte und schüttelte sich, um die Sprache wiederzuerlangen. Sie würde sich nicht einschüchtern lassen von diesen… diesen Entitäten.
»Entschuldigung«, brach Marjorie das Schweigen und riß Rowena aus ihrer Faszination, »haben Ihre… haben Ihre Reittiere denn Hufe? Von hier aus sehe ich nämlich nichts.«
»Drei«, murmelte Rowena fast unhörbar. »Ja. Drei«, wiederholte sie dann lauter. »Drei scharfe Hufe an jedem Fuß. Eigentlich sind es aber drei Zehen, jeder mit einem dreieckigen Huf. Und zwei rudimentäre Daumen, die weiter oben am Bein sitzen.«
»Und die Hunde?«
»Sie auch. Nur daß ihre Hufe weicher sind. Mehr wie Pfoten. Sie sind sehr leichtfüßig.«
Mittlerweile waren fast alle Jäger aufgesessen.
»Kommen Sie«, sagte Rowena wieder mit der gleichen tonlosen Stimme, mit der sie sich bisher artikuliert hatte. »Der Transporter wartet auf Sie.« Sie schwebte vor ihnen her, wie auf Kufen, und ihre weiten Röcke bauschten sich über den polierten Dielen wie ein Ballon, der kurz vor dem Platzen stand. Sie würdigte sie keines Blickes und redete sie auch nicht mit Namen an. Anscheinend hatte sie sie überhaupt nicht bewußt wahrgenommen und sah sie auch jetzt nicht. Ihre Augen waren auf eine innere Schreckensvision gerichtet, die so intensiv war, daß Marjorie sie ihr fast von den Augen ablas. Als sie sich dem Fahrzeug näherten, wandte Rowena sich ab und schwebte den Weg wieder zurück.
Neben dem Fahrzeug wartete Eric bon Haunser. »Mein Bruder nimmt an der Jagd teil«, erklärte er. »Weil ich nicht mehr reite, habe ich mich Ihnen als Begleiter zur Verfügung gestellt. Wenn Sie Fragen haben, kann ich sie Ihnen vielleicht beantworten.« Etwas unbeholfen ging er mit den Beinprothesen zur Tür des Zeppelins und bedeutete Marjorie mit einem Kopfnicken, als erste einzusteigen.
Von geräuschlosen Propellern angetrieben, stiegen sie auf und eskortierten die Jagdgesellschaft; Meile um Meile wurde von den Reittieren zurückgelegt, wobei der Weg für die Hunde mit der größeren Auflagefläche ihrer Pfoten noch beschwerlicher war. Aus der Luft wirkten die Tiere wie dicke Kleckse im strukturierten Gras, pulsierende Kleckse, die sich im Rhythmus der Schrittfolge verlängerten und verkürzten, wobei Reittiere und Hunde nur durch die Reiter voneinander zu unterscheiden und die Reiter ihrerseits zu bloßen Auswüchsen reduziert waren, Warzen auf den pulsierenden Linien. Nun tauchten die Jäger in ein Wäldchen ein und entzogen sich der Luftaufklärung. Nach einer Weile tauchten sie wieder auf und verschwanden erneut in einer Baumgruppe. Bald hatten die Yrariers ganz vergessen, wonach sie überhaupt Ausschau hielten. Sie hätten genausogut Ameisen beobachten können. Oder einen Fisch im Fluß. Oder
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