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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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und sie wußte es auch; sie wollte sie verletzen. »Sie unternehmen wenigstens etwas zusammen. Ich wünschte, ich hätte auch so eine Familie.«
    »Nun, auf Gras werden wir die Gelegenheit haben, eine Familie zu sein, Stella. Dort gibt es niemanden außer uns.« Nicht daß Stella jemals das tun wollte, was alle anderen auch taten. Nicht daß die Isolierung sie etwa ändern würde.
    Stella hatte daraufhin das Kinn vorgeschoben und wütend verkündet, sie würde nicht mitkommen nach Gras. Die letzten Wochen vor der Abreise hatte Marjorie ständig damit gerechnet, daß Stella mit dem Ansinnen an sie herantreten würde, bei den Brouers zu bleiben.
    ›Mutter, ich will hier in Heiligkeit bei den Brouers bleiben. Sie haben es mir angeboten.‹
    Was hätte sie darauf entgegnet? ›Das ist aber schön, Stella. Ich will nämlich auch nicht gehen. Und dein Vater auch nicht. Ich möchte die armen Menschen in St. Magdalen’s nicht im Stich lassen. Rigo möchte seine Clubs nicht aufgeben, die Komitees und die Nächte in der Stadt mit Eugenie. Wir gehen, weil wir es für notwendig halten, zum Wohle der ganzen Menschheit. Aber im Grunde ist es nicht erforderlich, daß du auch mitkommst. Bleib hier und stirb an der Pest, Stella. Du und Elaine und ihre ganze perfekte Familie. Es ist mir egal.‹
    Und sie hatte ihren Zorn bereut, hatte ihn gebeichtet und – obwohl sie einige andere, schwerwiegendere Sünden verschwiegen hatte – Absolution erteilt bekommen, nur um dieses Gefühl dann erneut zu verspüren. Und nun waren sie auf Gras, und Marjorie war noch immer wütend, bereute es noch immer, beichtete noch immer und fragte sich noch immer, was sie nur mit Stella machen sollte, die hier genauso trotzig und rebellisch und lieblos war wie zu Hause.
    »Warum, Vater?« hatte sie gefragt. »Weshalb ist sie so? Weshalb ist Rigo so?«
    »Du weißt, weshalb alle Menschen… die Kirche lehrt…« Mit sanfter Stimme hatte der alte Mann mechanisch eine seiner einstudierten Weisheiten abgespult.
    »Sünde«, war sie ihm ins Wort gefallen. »Sogar Erbsünde. Ich weiß Bescheid. Es heißt, daß ich für die Sünden haften müsse, die die Menschen vor vielen tausend Jahren begangen haben. Die Sünde manifestiert sich in jeder einzelnen Zelle meines Körpers. In der DNA. Sie hat das Herz und die Lunge und das Gehirn infiziert, und nun habe ich meine Tochter angesteckt…«
    Er hatte den Kopf gesenkt. »Marjorie, ich habe nie geglaubt, daß die Erbsünde körperlich weitergegeben wird.«
    »Woher kommt sie dann? Was gäbe es denn sonst noch? Der Körper ist doch der Sitz der Seele, nicht wahr, Vater? Die Sünde wird durch Sex übertragen, stimmt’s? Es ist doch nicht so, daß nur unsere Seelen miteinander ins Bett gingen, oder?«
    Heiligkeit würde diese Frage bejahen; nach seinem Credo gingen die Seelen tatsächlich miteinander ins Bett. Heiligkeit sagte auch, die Ehe währte ewiglich. Insbesondere im Himmel. Allerdings war dies nicht die Überzeugung der Altkatholiken. Gott sei Dank. Wenigstens mit ihrem Tod hätte es ein Ende.
    Dann hatte sie geweint, in dem Glauben, es sei alles ihre Schuld. Vater Sandoval hatte ihr auf die Schulter geklopft, ohne ihr wirklich Trost spenden zu können; entweder war er nicht willens oder nicht imstande, ihre Schuldgefühle zu verringern. Nicht einmal ihre Tätigkeit in St. Magdalen’s, die als Buße gedacht war, hatte dazu beigetragen.
    Marjorie verließ Stellas Zimmer und schloß leise hinter sich die Tür; ihre Gedanken bewegten sich wieder in den alten, vertrauten Bahnen. Wenn Stella älter war, ungefähr im mittleren Alter, könnten sie vielleicht Freundinnen sein. Stella würde irgendwann heiraten. Sie würde sich räumlich und zeitlich von ihnen distanzieren. Sie würde Kinder haben. Dann könnten sie Freundinnen werden.
    Bei diesem Gedanken schnappte sie nach Luft und krümmte sich vor Magenschmerzen. Für all das wäre vielleicht überhaupt keine Zeit. Der ganze Trotz, die Freudlosigkeit – vielleicht hätte sie gar keine Gelegenheit, dem zu entwachsen. Vielleicht hatte Stella keine Zeit mehr. Es gab nämlich keine Gewißheit, daß sie hier auf Gras sicher waren. Es war nur eine Vermutung, eine Hoffnung. Und nicht einmal die gab es für die Kinder. Sie durften den wahren Grund für die Mission nämlich nicht erfahren. Zu gefährlich. So sagte Heiligkeit, und Marjorie ging mit dieser Einschätzung konform. Tony würde sich womöglich vergessen. Stella würde vielleicht rebellieren. Möglicherweise

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