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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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sie und Rigo frisch vermählt waren, hatte sie manchmal gewartet, bis er kurz vor dem Einschlafen stand oder sogar schon eingeschlafen war und sich dann fest an ihn gekuschelt; sie wollte seine Haut spüren, die Muskeln, und seinen Körper so kennenlernen, wie sie sein Gesicht kannte. Er hatte immer wild und leidenschaftlich reagiert und sie schier erdrückt. Es gelang ihr einfach nicht, ihm unter Bewahrung ihrer eigenen Identität näher zu kommen. Wenn sie sich von ihm distanzierte, hielt er ihr vor, sie sei abweisend. Wenn sie auf ihn zuging, stülpte er sich ihr über.
    »Ich habe versucht, es ihm zu sagen«, flüsterte sie und sah die schlafende Stella an. »Ich habe versucht, es ihm zu sagen, genauso wie ich versucht habe, es dir zu sagen.« Und auch das entsprach der Wahrheit. »Rigo, halte mich einfach«, hatte sie sagen wollen. »Laß mich den Rhythmus deines Blutes und Atems spüren.« Oder: »Stella, sei mal einen Augenblick lang still. Ich möchte dir etwas sagen. Ich möchte, daß wir uns kennenlernen.«
    Marjorie erinnerte sich, wie sie im Stall im Stroh gelegen hatte, an ein Fohlen geschmiegt, wobei die Stute leise wieherte und mit der Nase das Fohlen anstupste und auch Marjorie, als sei sie ihr zweites Kind, bis alle drei schließlich denselben Geruch hatten, nach Heu und Stroh. Marjorie hatte gespürt, wie das Blut durch die Adern des Fohlens strömte, den sanften Zug der Muskeln über den Knochen. Und als sie dann später auf dem Pferd galoppierte, kannte sie seinen Körper und wußte, von welchem Geist es beseelt war. So gut hatte sie auch Rigo kennenlernen wollen, aber er hatte es ihr verwehrt.
    Stella war genauso. Immer leidenschaftlich. Immer himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Immer wollte sie nur nehmen und selbst nie Wärme geben, nicht das geringste Anzeichen von Zuneigung. Keine Umarmung. Keinen Scherz, über den sie hätten gemeinsam lachen können. Keinen Frieden. Nicht daß Stella ihrem Vater ein Übermaß an Gefühl entgegengebracht hätte. Nein. Wenn sie überhaupt einer Gefühlsregung fähig war, sparte sie sie sich für ihre Freundin zu Hause auf, die liebreizende Elaine.
    Marjorie spürte, wie ihr Herz klopfte und lächelte reumütig. Sie war zu alt für eine solche Eifersucht. Der Schmerz, den sie wegen Stella verspürte, saß nicht im Herzen, sondern im Magen, der sich nun in einer Aufwallung hilfloser Liebe, die sie nicht zeigen konnte, zusammenkrampfte. Stella gegenüber Liebe zu zeigen war wie einem halb verwilderten Hund einen Fleischbrocken hinzuhalten. Stella würde zupacken, es hinunterschlucken und sogar noch die Knochen zernagen. Stella Liebe zu zeigen hieß, sich einem Angriff auszusetzen.
    »Du hast mich ja gar nicht lieb. Als ich klein war, hast du mir einen Ausflug nach Westriding versprochen, und dann durfte ich nicht mit!« Diesen Vorwurf erhob die mittlerweile sechzehn Jahre alte Stella nun schon seit acht Jahren.
    »Ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, daß Großvater krank war. Er war zu krank, um Gesellschaft zu haben. Er ist auch kurz darauf gestorben.«
    »Erst hast du es versprochen, und dann hast du beschlossen, daß wir doch nicht gehen. Du versprichst immer irgend etwas und hältst es dann nicht ein. Und nun schleppst du mich zu diesem schrecklichen Ort und zwingst mich, meine Freunde zu verlassen, ohne mich zu fragen, ob ich überhaupt mitkommen will! Warum sind wir keine richtige Familie? Ich wünschte, ich wäre Elaines Schwester. Die Brouers sind nämlich nicht so wie du.«
    »Wenn sie mir noch einmal mit den Brouers kommt«, hatte Marjorie zu Rigo gesagt, »erwürge ich sie.«
    »Sie sind eben Freundinnen«, hatte Rigo erwidert und sie unergründlich angeschaut. »Sie ist ihre beste Freundin. Weshalb stört dich das?«
    »Das stört mich nicht. Mich stört nur, daß sie mir die Brouers als perfekte Familie präsentiert.«
    »Alle Kinder glauben, daß es irgendwo eine perfekte Familie gibt«, entgegnete er.
    »Ich habe das nie geglaubt.«
    »Ja«, sagte er, »aber du bist ja auch wunderlich.«
    »Ich bin also wunderlich«, sinnierte sie nun und betrachtete das schlafende Mädchen, wobei sie sich fragte, woran es wohl gelegen hatte, daß Stella die Brouers so bewundert hatte. Welche Qualitäten der Familie Brouer hatten es ihr angetan? Familie? Was verstand Stella überhaupt unter Familie?
    »Ich wünschte, die Brouers wären meine Familie«, hatte Stella voller Trotz ein dutzendmal gesagt, ohne zu erklären, weshalb. Das war ein Affront,

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