Monströse Welten 1: Gras
aber gleich nach der Jagd mit uns gesprochen…«
»Da waren sie auch schon weg«, sagte er gurgelnd und keuchte. »Nach einer langen Jagd verschwinden sie sofort. Heute sind sie aber alle hier, in der Nähe von Opal Hill!«
»Im Winter läßt dieser Zwang nach?« fragte sie. »Und auch im Sommer? Aber im Frühling und Herbst sind Sie davon besessen? Diejenigen von Ihnen, die reiten?«
Er schaute sie nur an; einer Bestätigung hätte es gar nicht mehr bedurft.
»Und was tun sie, wenn der Winter zu Ende geht? Um Sie unter Kuratel zu stellen? Versammeln sie sich um Ihre Estancias? Zu Dutzenden? Zu Hunderten?« Er bestritt es nicht. »Sie rotten sich zusammen und setzen Sie unter Druck; sie bestehen auf der Jagd. Also müssen sie auch Druck auf die Kinder ausüben, damit sie reiten. Auch mit Zwang?«
»Dimity«, sagte er seufzend.
»Ihre kleine Schwester.«
»Meine kleine Schwester.«
»Ihr Vater…«
»Reitet schon viele Jahre, ist seit einigen Jahren Jägermeister, wie Gustave…«
»Aha«, sagte sie. Sie mußte auf jeden Fall Rigo davon unterrichten.
»Ich bringe Mama nach Hause«, flüsterte er. Langsam bekam er sich wieder in die Gewalt.
»Haben Sie ihnen widerstanden?« fragte sie, wobei sie genauso leise sprach wie er. »Warum haben sie Ihnen keinen Arm oder Bein abgebissen? Tun sie das denn nicht, wenn jemand sich ihnen widersetzt?«
Er antwortete nicht. Das brauchte er auch nicht. Sie wußte die Antwort bereits selbst. Nicht daß er ihnen unterwegs Widerstand geleistet hätte. In diesem Fall wäre er nämlich verschwunden oder bestraft worden. O nein, unterwegs hatte er sich schön angepaßt, wie alle anderen auch. Das Geheimnis bestand vielmehr darin, daß er sich nach dem Ritt schnell wieder erholte. Schnell genug, um etwas zu sagen und Andeutungen zu machen.
»Sie hatten uns gewarnt«, sagte sie und berührte ihn. »Ich weiß, wie schwer das für Sie gewesen sein muß.«
Er nahm ihre Hand und legte sie sich auf die Wange. Mehr nicht. Aber so sah Rigo sie.
Sylvan entschuldigte und verneigte sich. Dann ging er, um Rowena zu suchen.
»Ein nettes tête-à-tête.« Rigo lächelte grimmig.
Sie war noch zu aufgewühlt, um dieses Lächeln richtig zu interpretieren.
»Rigo, du darfst nicht reiten.«
»Ach, und weshalb nicht?«
»Sylvan sagt…«
»Es interessiert mich eigentlich herzlich wenig, was Sylvan sagt.«
Sie sah ihn unsicher an. »Es sollte dich aber interessieren. Rigo, die Hippae sind keine bloßen Tiere. Sie… sie beeinflussen ihre Reiter. Das Gehirn.«
»Da hat Sylvan sich aber ein schönes Märchen ausgedacht.«
»Glaubst du etwa, er hätte das erfunden? Sei nicht albern. Es ist offensichtlich. Es war mir schon klar, seit wir die erste Jagd beobachtet hatten, Rigo.«
»Ach?«
»Und gestern abend ist es bestätigt worden. Um Gottes willen, Rigo. Hat es dich denn nicht auch gewundert, daß niemand die Hippae verantwortlich gemacht hat? Da verschwindet während der Jagd ein Mädchen, und niemand verdächtigt das Hippae, auf dem es geritten ist?«
»Wenn du auf der Jagd verschwinden und später irgendwo als Haremsdame auftauchen würdest, meine Liebe, sollte ich dann etwa dein Pferd dafür verantwortlich machen?« Er musterte sie mit einem frostigen Blick und ließ sie einfach stehen. Sie sah ihm nach und fragte sich verzweifelt, was sie wohl falsch gemacht hatte.
9
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Die Nächte in der Abtei der Grünen Brüder waren ruhig. Der durchdringende Schrei, der nachts die südlichen Breiten lähmte, war hier nur selten zu vernehmen, obwohl ganze Chöre von larvenartigen Peepers in der Dunkelheit ihr Lied anstimmten. Am Tage arbeiteten die Mönche, nachts schliefen sie. Wie es hieß, hatten die Brüder früher die Zeit mit Studien verbracht, aber hier gab es nicht viel zu studieren. Alle Fragen waren auf die Doktrin reduziert worden, und die Doktrin war auf einen simplen Katechismus reduziert worden. Was hätten die Büßer im übrigen auch mit mehr Wissen anfangen sollen? Sie hätten es gar nicht anwenden können.
Die Abtei war in der Kurzgras-Prärie errichtet worden, nicht allzu weit vom hohen Gras entfernt. Jedes Jahr im Spätsommer, zogen die Brüder aus und schnitten kräftige Rohre, die eine Höhe von sieben oder acht hochgewachsenen Männern erreichten. Andere Brüder arbeiteten in der Abtei und gruben in paralleler Anordnung tiefe und schmale
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