Monströse Welten 1: Gras
hin; jedes Detail wurde zehnmal durchgekaut.
»Eines sollten Sie noch bedenken«, sagte Jelly zu Sylvan. »Nur weil Ducky Johns ein derartiges Geschäft betreibt, muß das noch lange nicht heißen, daß sie nicht ehrlich sei. Sie ist genauso ehrlich wie sonst jemand. Und wenn sie sagt, sie hätte diese Janetta auf der Veranda unter der Wäscheleine gefunden, dann glaube ich ihr das.«
»Aber wie?« rief Rowena nun schon zum zehnten Mal.
Jelly holte tief Luft. Er hatte genug von den Ausflüchten, den Euphemismen und dem Eingehen auf das allseits bekannte, exzentrische Verhalten der bons. Er beschloß, die harten Fakten zu präsentieren und zu sehen, wie diese bon- Fraudarauf reagierte. »Gnädige Frau, als sie zuletzt gesehen wurde, ritt sie auf einer dieser Bestien. Nun wird jeder glauben, diese Bestie hätte sie selbst dorthin gebracht oder geschickt. Und das glaube ich auch.«
Nun war es heraus. Sie hatten seine Laute im Ohr und die Erscheinung vor Augen, ein bösartiges Ungeheuer mit Widerhaken, ein Hippae: Schließlich war der Bann gebrochen und der Name gefallen, den die bons nie ausgesprochen hatten und den auszusprechen sie auch anderen verboten hatten. Das Hippae. Jenes Hippae, oder ein anderes, hatte das Mädchen entführt; jeder wußte das. Sie, die Hippae, hatten ihr das angetan; wer wollte es bezweifeln? Sie hatten sie versteckt.
Sie hatten sie festgehalten. Und dann war sie wieder aufgetaucht. Weshalb? Obwohl ihr jede Menge Fragen auf der Zunge lagen, schwieg Marjorie; sie legte nur die Hand auf die von Tony und spürte, wie auch er vor Anspannung zitterte. Die bons hatten die Yrariers beschuldigt, nicht die Hippae. Nicht einmal jetzt äußerte Rowena sich dazu. Weshalb?
Die Jellicos verabschiedeten sich und gingen. Rowena weinte und klammerte sich an Sylvan. Der ernste Gesichtsausdruck, mit dem er Marjorie ansah, befahl ihr zu schweigen. Sie schlug die Augen nieder, wobei sie seinen Willen spürte, als ob er sie berührt hätte.
»Mama, möchtest du dich für einen Moment hinlegen?« fragte er Rowena.
Sie nickte mit tränenüberströmtem Gesicht.
»Tony, würdest du sie bitte begleiten?« fragte Marjorie; sie wollte, daß er die Frau hinausbrachte, um mit Sylvan allein zu sein. Sie wollte ihn fragen…
»Einen Moment«, sagte Rowena.
Marjorie nickte.
»Lady Westriding… Marjorie. Vielleicht wird einmal die Zeit kommen, wo ich Ihnen Ihre Hilfe vergelten kann. Und wenn ich mein Leben dafür einsetzen muß, werde ich Ihnen helfen.« Sie legte die Hand auf die von Marjorie und ging mit Tony hinaus. Sylvan blieb zurück.
»Nein«, sagte er, als er ihren fragenden Blick sah. »Ich weiß nichts.«
Sie konnte nicht mehr an sich halten. »Aber Sie leben doch hier! Sie kennen diese Bestien.«
»Schsch«, machte er, blickte über die Schulter und faßte sich an den Kragen, als ob er ihm plötzlich zu eng geworden wäre. »Sagen Sie nicht Bestien. Sagen Sie auch nicht Tiere. Sagen Sie das niemals. Denken Sie es nicht einmal.« Er faßte sich an den Hals, als ob ihm etwas im Schlund steckte.
»Wie sagen Sie denn?«
»Hippae. Reittiere«, erwiderte er gurgelnd. »Und nicht einmal das, wenn sie in Hörweite sind. Sie dürfen gar nichts hören.« Er stockte und schnappte nach Luft.
Sie starrte ihn an und sah die Schweißperlen auf seiner Stirn, sah, wie er sich bemühte, die Contenance zu wahren. »Was haben Sie denn?«
Er hyperventilierte und war nicht mehr in der Lage, ihr zu antworten.
»Schsch«, sagte sie und ergriff seine Hände. »Sagen Sie nichts. Denken Sie nur nach. Tun sie Ihnen… tun sie Ihnen etwas an?«
Ein fast unmerkliches Kopfnicken.
»Etwas mit… mit Ihrem Gehirn? Mit Ihrem Verstand?«
Ein leichtes Zucken des Augenlids. Wenn sie nicht gelernt hätte, auf solche fast unmerklichen Regungen zu achten, wäre sie ihr entgangen.
»Es ist…« Emotionslos rief sie sich ins Gedächtnis, was sie auf der bon Damfels-Estancia gesehen hatte. »Ist es eine Art Gedächtnisverlust?«
Er blinzelte keuchend.
»Ein Zwang?«
Mit einem Seufzer entspannte er sich und senkte den Kopf.
»Ein Zwang zu reiten, begleitet von der Unfähigkeit, darüber nachzudenken und darüber zu sprechen.« Sie sagte das mehr zu sich als zu ihm, im Bewußtsein, daß es die Wahrheit war. Er schaute sie aus glänzenden Augen an. Tränen?
»Und je öfter man reitet«, fuhr sie fort, den Blick unverwandt auf ihn gerichtet, »desto intensiver wird dieser Zwang.« Sie wußte, daß sie recht hatte. »Einmal hatten Sie
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