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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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Ministranten ins Leben gerufen hatten, mit Tauf- und Beerdigungsritualen und kultischen Geheimnissen. Jeder Ministrant legte wenige Tage nach seiner Ankunft eine Aufnahmeprüfung ab. Als Bruder Mainoa Bruder Lourai darauf hingewiesen hatte, daß die Himmelsstürmer sich seiner annehmen würden, hatte er nur zu recht gehabt.
    Sie ließen nicht lange auf sich warten.
     
    Bruder Lourai, vormals Rillibee Chime, saß im Refektorium, wie Generationen vor ihm schon dort gesessen hatten. Mit der Kutte polierte er die Tischkante, während er auf den Gong wartete, der ihm erlauben würde, sich vom Tisch zu erheben, das Tablett wegzubringen und ins Waschhaus zu gehen, um seine abendlichen Verrichtungen zu erledigen. Plötzlich wurde er von einem Flüstern im Rücken überrascht. Hinter ihm war aber nichts außer der kahlen Wand der Halle.
    »Du, Lourai«, sagte die Stimme. »Hör zu.«
    Er hob den Kopf und schaute sich um, wobei er das so langsam tat, daß niemand auf ihn aufmerksam wurde. Die nächsten Nachbarn saßen ein Stück weit entfernt, kleine Funktionäre, die unlängst als Verstärkung für das Büro für Akzeptable Doktrin nach Gras geschickt worden waren; je unauffälliger er sich verhielt, desto besser.
    Er sah nichts außer den geflochtenen Matten, mit denen die Rückseite der Halle behängt war. »Du«, ertönte die Stimme erneut. »Heute nach Feierabend. Zeit für deine Initiation.«
    Das nachfolgende Geräusch erinnerte ihn an ein Kichern, ein bösartiges Kichern, fast schon ein Keckern. Rillibee schloß die Augen und flehte Gott um Hilfe an. Die einzige Antwort war das Geschrei der alten Männer weit vorne auf dem Podium. Nach einiger Zeit schlug Rillibee wieder die Augen auf und fragte sich, ob er im Großen Refektorium etwas finden würde, was ihm von Nutzen wäre.
    Das Refektorium bestand aus vier gewölbeartigen Hallen, die wie Finger von einer Zentralkuppel ausgingen. Unter der Kuppel befand sich das Podium, auf dem die Ältesten Brüder thronten: Jhamless, Fuasoi und Laeroa sowie ein halbes Dutzend anderer. In den Hallen waren die aus geflochtenem Gras bestehenden Tische der Büßer aufgestellt, nach der Rangordnung gruppiert. Rillibee fand die Tische wundervoll.
    Grashalme waren zu Mustern geflochten worden, die Zweige, Blätter und Blüten darstellten. Die Tischplatten wurden von geschwungenen Schürzen begrenzt, die ihrerseits in Beine ausliefen, welche die Formensprache des Rokoko aufgriffen. Rillibees Mutter hätte das als Korbgeflecht bezeichnet und auf die Ähnlichkeit mit dem alten braunen Schaukelstuhl am Kamin hingewiesen. Hier handelte es sich nur um Flechtwerk aus Gras, aber dieses Gras wies hundert Farbschattierungen auf.
    Ganze Generationen von Brüdern hatten die Arme auf die verzierten Lehnen dieser Stühle gelegt, mit dem Hinterteil die Sitzflächen poliert und sich in den geschwungenen Seitenschürzen der Tische gespiegelt. Der Platz von Bruder Rillibee/Lourai befand sich am Ende der Tischreihe, die so lang war, daß im Vergleich hierzu die Distanz zur Kuppel fast auf Null reduziert wurde. Das machte die Mahlzeiten für die jüngsten Brüder zu einer einsamen Angelegenheit, förderte andererseits jedoch die Kontemplation.
    Und es machte das Leben an sich zu einer einsamen Angelegenheit. Die Stühle zu beiden Seiten waren leer.
    Es gab niemanden, den er um Hilfe hätte bitten können. Und selbst wenn er gefragt hätte, vielleicht hätte man ihm gar nicht geholfen. Und überhaupt wäre dafür auch gar keine Zeit mehr geblieben, denn das Läuten der Pausenglocke übertönte alle anderen Geräusche. Synchron mit hundert anderen Gestalten erhob er sich, stellte mit schlurfenden Schritten das Tablett weg und trat hinaus in den Abend.
    Er verließ den Hof und betrat einen Pfad, der am Refektorium entlang zum Waschhaus führte. Dort stellte er sich an eine Pumpe und wartete auf das Eintreffen seines Kollegen. Dieser anonyme Bruder in mittleren Jahren setzte sich auf den anderen Schwengel, und dann betätigten die beiden in monotonem Rhythmus die Pumpe, die aus einer tiefen Quelle heißes Wasser förderte. Von der Pumpe lief das Wasser in die Kessel. Wenn die Kessel voll waren, floß das Wasser in die Spülbecken. Und wenn die sich gefüllt hatten, waren die Kessel auch schon wieder leer.
    »Primitives Scheiß-Teil«, murmelte Bruder Lourai beim Gedanken an die Solarzellen und Windkraftgeneratoren, mit denen überall sonst in der Abtei Wasser gepumpt sowie der Fischteich und der große

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