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Monströse Welten 2: Hobbs Land

Monströse Welten 2: Hobbs Land

Titel: Monströse Welten 2: Hobbs Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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regnete.
    »Früh«, sagte Sam verwirrt. »Früh dieses Jahr.«
    Bisher hatte er sich absolut untadelig verhalten.
    Das kam ihr fast zu schön vor, um wahr zu sein, und sie beschloß nachzuhaken.
    »Wie war das noch mit den legendären Liebenden?«
    »Ich glaube, Legenden sind wie Spinnen«, sagte er unergründlich.
    »Ja«, erwiderte sie irritiert.
    »Das einzige Tier auf Hobbs Land, das auch nur annähernd einer Spinne vergleichbar ist, hat zehn Beine, und die kann es auch noch abstoßen. Und trotzdem weiß jeder, was eine Spinne ist.« Er dachte für eine Weile nach. »Nein, Legenden sind eher wie Spinnennetze. Die Spinne sucht sich einen Ausgangspunkt und spinnt einen Faden, den sie dann irgendwo befestigt. Anschließend ändert sie die Richtung und spinnt einen neuen Faden. Das geht immer so weiter, bis alle ›Speichen‹ befestigt sind. Und zum Schluß verknüpft die Spinne alle Fäden zu einem Netz. Du verstehst?«
    Natürlich hatte sie verstanden, auch wenn sie nicht wußte, wozu das gut sein sollte. Spinnen waren Teil des menschlichen Erbes. Obwohl es auf Hobbs Land keine Spinnen gab, gehörten sie zum Unterrichtsstoff wie Tiger, Elefanten und Bären, die fast schon mythischen Tiere von Menschenheimat.
    »Alle Verbindungsstellen des Musters sind miteinander verknüpft«, fuhr Sam fort. »Also gehen wir in der Geschichte zurück, bis wir auf einen großen Helden stoßen; und den nehmen wir dann als Bezugspunkt unserer Erinnerung. Oder wir gehen in der Zeit zurück, bis wir unserem Va… einem Onkel begegnen und ihn als Bezugspunkt nehmen. Dann stoßen wir uns ab und befestigen das andere Ende dieser Idee an jemand oder etwas anderem. Das ist nämlich der Zweck von Legenden, daß sie als Ankerplätze in der Zeit dienen. Gäbe es diese Fixpunkte nicht, China Wilm, würden wir umherwirbeln wie Blätter im Wind. Wir brauchen solche Haltepunkte. Dieses Netz aus Geschichten stiftet eine gemeinsame Identität. Ohne Legenden wären wir Fremde. Sie bewirken ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.«
    »Aber du hast doch gesagt, wir hätten keine Legenden auf Hobbs Land.«
    »Das stimmt auch. Wir haben kein einigendes Band, das uns zusammenhält. Wenn ich nun sage, China Wilm, daß meine Liebe zu dir so groß ist wie in den größten Liebesgeschichten, so sagen mir die Namen dennoch nichts. Was bedeuten uns Héloise und Hero? Wer sind Gercord Thrust und Madain, seine Geliebte? Verbindest du irgend etwas mit diesen Namen?«
    Sie schüttelte den Kopf; allmählich begriff sie, worauf er hinauswollte. »Wenn mein Sohn Jeopardy also Samstag seine Gefühle mitteilen möchte, fehlen ihm die Worte.«
    »Aha, ›mein Sohn‹«, sagte er; diese in seinen Augen diskriminierende Formulierung ging ihm ziemlich gegen den Strich, und am liebsten hätte er seinen Unwillen auch drastisch artikuliert. »Vielleicht sagt er auch: ›Samstag, ich liebe dich, wie meine Mutter meinen Vater liebt.‹«
    Sie errötete; das Wort, das er soeben verwendet hatte, war ganz und gar nicht politisch korrekt. »Ja, vielleicht sagt er das«, pflichtete sie ihm schließlich bei.
    »Und was sagst du?«
    Sie schwieg. Nun war er wieder ganz der alte. Es war wieder wie damals, als er ihr Fragen gestellt hatte, die sie nicht beantworten konnte. »Wärst du denn hier, Sam, wenn ich dich nicht liebte?«
    »Woher soll ich das denn wissen? Ich weiß doch nicht, wer seit meinem letzten Besuch hier war.« Er machte eine bezeichnende Geste; es war ihr Schlafzimmer, und hierher durfte sie jeden einladen, den sie wollte.
    Sie hätte ihm sagen können, daß es niemanden gegeben hatte. Dann hätte er sich vielleicht wieder beruhigt; aber eine solche Frage stand ihm einfach nicht zu. So lief das nicht bei den Wilms. Wenn sie ihm gesagt hätte, da wäre niemand gewesen, hätte er sicher gesagt, noch nicht, aber wie steht es mit morgen? So wäre das immer weitergegangen. Und ehe sie sich versah, hätte er sie völlig vereinnahmt, und sie hätte sich festgelegt, wo niemand sich festlegen sollte. »Die Zeiten ändern sich, und die Menschen ändern sich mit ihr«, sagte ein Sprichwort in einer alten Sprache. »Vota errod. Erot vode.« Oder wie dieser Gharm-Dichter sagte, den Maire immer zitierte: »Ein Schwur für die Ewigkeit ist wie Gras / unter der Sense der Veränderung.« Die Menschen veränderten sich. Womöglich galt das auch für sie.
    »Aber jetzt bist du hier, Sam«, sagte sie, wobei ihr durchaus bewußt war, daß diese Aussage ihn nicht zufriedenstellen würde. Das

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