Monströse Welten 2: Hobbs Land
stellte ein Tintenfaß auf den Tisch und legte einen Federkiel dazu.
Jep nahm den Federkiel und tunkte ihn ins Tintenfaß. Im Gegensatz zum Maschinenschreiben diente die Handschrift dekorativen Zwecken. Jeder wurde in dekorativen Fertigkeiten unterrichtet, auch wenn Jep nicht sehr gut darin war. Samstag war in diesen Fächern viel besser als Jep. Beim Gedanken an sie hätte er fast die Fassung verloren. Er japste, als ob er ein Messer zwischen die Rippen bekommen hätte.
»Was ist?« fragte der Mann und schaute ihn mit stechendem Blick an.
»Ich bin ganz allein«, flüsterte Jep. »Meine Leute sind weit weg.«
»Ja, da hast du ganz recht«, sagte Mugal Pye spöttisch. »Das kannst du Maire Girat auch sagen. Sag ihr, du seist einsam und würdest frieren. Sag ihr, du hättest Hunger. Sag ihr, du würdest Hobbs Land nie wiedersehen, wenn sie nicht nach Voorstod zurückkehrt. Sie soll kommen und singen.«
»Sie singt aber nicht«, entgegnete Jep. »Ich kenne alle Sängerinnen. Sie gehört nicht dazu.«
»Sie singt nicht?« fragte Pye ungläubig.
»Sie ist eine alte Frau«, sagte Jep, wobei er in gestochenen Lettern den Namen von Maire Girat an den Seitenanfang setzte. »Sie ist eine alte Frau und singt nicht mehr.«
Er schrieb das nieder, was man ihm gesagt hatte. Es war eine schwierige Übung, etwas, das er nicht jeden Tag machte. Das gegenständliche Vokabular, das Feldfrüchte und Tiere umfaßte, half ihm hier nicht weiter, und er war nicht imstande, den abstrakten Inhalt des Briefes zu reflektieren. Er wußte nicht, weshalb Maire Girat etwas tun sollte, nur weil er, Jep Girat, hier gefangengehalten wurde. Zur Vereinfachung hätte er sich auch der Simplex-Form bedienen können – bei Simplex handelte es sich um ein phonetisches System, das keinen Raum für Interpretationen ließ; es war mit einem Diktat vergleichbar. Statt dessen entschied er sich jedoch für die Verwendung des Phansurischen Hoch-Textes, um der Empfängerin zu signalisieren, daß es sich um etwas Wichtiges handelte. Buchstäblich zwischen den Zeilen integrierte er eine Botschaft für Samstag, die besagte, daß er sie liebte und ihre Hilfe brauchte. Er hätte diese persönlichen Worte auch an China oder Tante Africa richten können, doch Samstag und er waren Diejenigen Welche.
»Was soll das?« fragte Mugal Pye zornig; er verstand so viel Hoch-Text, um die Botschaft zu dechiffrieren. »Ich habe dir nicht gesagt, du sollst deiner Freundin schreiben.«
»Ich muß«, sagte Jep. »Sie macht sich sonst Sorgen.«
»Rotzlöffel«, echauffierte Mugal sich. »Du hast es zwischen die Zeilen geschoben. Ich kann es nicht einmal herausnehmen.«
»Lassen Sie es stehen«, rief Jep. »Es beeinträchtigt Ihr Anliegen doch gar nicht!«
Nachdem Mugal sich wieder abgekühlt hatte, befand er, daß der Junge recht hatte. Durch die unterlegte Botschaft gewann der eigentliche Inhalt nämlich noch an Dramatik. Während die Hauptnachricht ihm in die Feder diktiert worden war, kam der zweite Text von Herzen. Allein schon aufgrund des Schmerzes, der sich im Subtext offenbarte, würde man auf die Authentizität des Schreibens schließen.
Nachdem die Tinte am Feuer getrocknet war, stellte Mugal Pye das Tintenfaß und die Feder auf den Kaminsims und verließ den Raum. Jep legte den Kopf auf die Arme und brach in Tränen aus. Die beiden Gharm huschten durch die Tür neben dem Kamin. Er spürte eine weiche Hand auf dem Arm und schaute in ein mitleidiges Gesicht.
»Wie heißt ihr?« flüsterte Jep.
»Nils«, sagte der Mann.
»Pirva«, sagte die Frau und streckte die Hände aus. »Bist du fertig?«
Er nickte und reichte ihr den noch warmen Kessel. »Bitte habt keine Angst vor mir«, flehte er. »Ich brauche jemanden zum…«
»Wir wissen Bescheid«, sagte sie. »Wir haben mitgehört.«
»Seid ihr Sklaven?« fragte er.
Die Frau nickte und machte die Schulter frei; Jep sah die in den weichen Flaum der Schulter eingebrannte Nummer. Unterhalb der Schulter hörte der Pelz auf, und Jep sah die Haut ihrer Brust. Sie hatte keine Brüste, jedenfalls keine, die sichtbar waren. Statt dessen verlief eine lange, senkrechte Hautfalte am Körper. Die Anatomie der Gharm unterschied sich von derjenigen der Menschen. Angefangen bei den pelzigen und flachen Ohren. Er errötete und wandte den Blick ab; doch zuvor hatte er noch eine metallene Halskrause mit einem Ring bemerkt, wie sie normalerweise an Nutzvieh zu finden war.
»Sklaven.« Er glaubte es kaum. Er wußte nicht genau, was
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