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Monströse Welten 2: Hobbs Land

Monströse Welten 2: Hobbs Land

Titel: Monströse Welten 2: Hobbs Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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Mutter, Africa Wilm. Den Namen für ihre Tochter hatte sie aus den alten Menschenheimat-Quellen in den Archiven. Es handelte sich um eine Sprache, die nicht mehr gesprochen wurde. Manchmal wählten die Siedler alte Menschenheimat-Namen wegen ihrer Bedeutung, manchmal wegen der Klangfarbe. Africa Wilm hatte Samstag wegen der Klangfarbe ausgewählt und weil das Wort zu einer Reihe von Wörtern gehörte, die als Namen für die anderen fünf oder sechs Kinder dienen konnten, die sie noch haben wollte. Africa hatte bereits Dienstag bis Freitag abgedeckt, drei Jungen und ein Mädchen, und dann beschlossen, daß fünf Kinder genug waren.
    Bereits in frühester Kindheit hatte Samstag eine musikalische Ader entwickelt. Sie zwitscherte schon wie ein Vögelchen, als sie noch ein Kleinkind war. Es gab nur wenige vogelartige Wesen auf Hobbs Land, und keines von ihnen sang so schön wie Samstag. Also wurde sie die einzige Sängerin der Siedlung. Man machte ihr viele Komplimente deswegen, und es war nur Africas gesundem Menschenverstand zu verdanken, daß ihr das nicht zu Kopf stieg. Es sei ein Geschenk, sagte Africa streng zu ihrem Kind. Ein Geschenk, das Samstag nicht verdient hätte, nicht einmal die Vorteile, die sie daraus zog. Sie müßte sich auch in anderer Hinsicht anstrengen und die Leute mit ihrem Talent glücklich machen.
    Also strengte Samstag sich an und sang, und als sie ungefähr zehn war, machte sie die Bekanntschaft von Maire Girat, die, auch wenn sie der Sangeskunst jetzt nicht mehr frönte, früher eine Sängerin von hohen Gnaden gewesen war. Zumindest sagten das viele Siedler, sogar solche von Phansure oder Thyker. Viele von ihnen kannten noch die Lieder von Maire Manone; unter diesem Pseudonym war sie nämlich in Voorstod aufgetreten. Es war Maire gewesen, die Samstag die richtige Atemtechnik gelehrt und ihr gezeigt hatte, wie man in der Luftröhre eine vibrierende Luftsäule aufbaut und die Töne fließend entweichen läßt. Es war Maire Girat gewesen, die ihr beigebracht hatte, die Lieder mit Trillern, Tonleitern und Synkopen anzureichern, so daß sich tonale Effekte wie fließendes Wasser ergaben.
    Sie wurden Freundinnen, die große, hagere, wortkarge Frau und das schlanke, gesprächige, zappelige Mädchen. Sie verbrachten viel Zeit zusammen, wobei Samstag Fragen stellte und Maire mit rauchigem Timbre antwortete.
    »Warum singst du nicht mehr, Maire?« fragte Samstag sie eines Tages. Diese Frage hatte sie ihr schon lange stellen wollen, aber irgend etwas hatte sie davon abgehalten. Sie mußte wohl geahnt haben, daß die Antwort für Maire schmerzlich sein würde.
    »Ich kann nicht mehr«, erwiderte die Frau traurig. Sie wollte dieses fröhliche Kind nicht mit der Geschichte von Fess und Bitty belasten oder damit, daß sie einst von Hymnen geträumt hatte, die zwischen den Sternen ertönten. Früher war jeder Tag ihres Daseins von Musik beseelt gewesen. Sie hatte Voorstod verlassen, als die Musik sie verlassen hatte, aber davon wollte sie nicht sprechen.
    »Mein Kind, nichts von dem, wovon ich gesungen habe, gibt es hier«, sagte sie statt dessen. »Ich habe von stürmischen Meeren und hohen Bergen gesungen. Hier ist das Land wie ein Sandkasten, topfeben. Wovon sollte ich hier wohl singen?«
    Samstag indes hätte sich mit Leichtigkeit inspirieren lassen. Auch wenn jeder Hobbs Land als öde bezeichnete, so fand Samstag es doch schön. Unspektakulär und topfeben, aber dennoch schön.
    »In Voorstod«, sagte Maire, »wird man überall von Nebel eingehüllt. Ein Liebespaar war völlig ungestört, als ob sie die einzigen Leute auf der Welt waren.
    Frauen nahmen im Nebel den Schleier ab und küßten ihren Liebsten, wobei sie der Liebe wegen aber ein großes Risiko eingingen, denn manchmal vertrieben plötzliche Fallwinde von den Bergen die Nebelschwaden und enthüllten alles, die mächtigen, aufeinandergetürmten schwarzen Steine, das Meer, das die Sonne wie ein großer Spiegel reflektierte. Alles leuchtete grün, blau und golden, die Wiesen, die Berge und das Meer, und die Liebenden mußten fliehen, um nicht erkannt zu werden. Davon habe ich gesungen.«
    »Ist das alles, wovon du gesungen hast? Liebespaare im Nebel?« fragte Samstag ungläubig.
    Maire antwortete nicht sofort. Die Liebespaare waren natürlich Fiktion. Die Frauen hätten das nicht riskiert, und auch die Männer hätten ihr Leben dafür nicht aufs Spiel gesetzt, aber allein die Illusion hatte ihr schon glückliche Momente verschafft. Die Lüge

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