Monströse Welten 2: Hobbs Land
einigen Leuten aus der Siedlung geführt hatte. Er erinnerte sich an Sam Girats Mutter, die gesagt hätte, sie und ihr Sohn seien oft unterschiedlicher Ansicht. »Nein«, sagte er wahrheitsgemäß und wurde rot. »Als wir aufbrachen, sagte die Mutter eines Topman, sie und ihr Sohn würden oft verschiedene Standpunkte vertreten. Ich glaube, daß das auch auf die Siedler generell zutrifft.« Er dachte für einen Moment nach; von einem Baidee wurde nämlich erwartet, daß er auch ehrlich gegen sich selbst war. »Beim Besuch der Siedlung Eins hörte ich, daß Kinder sich balgten und Erwachsene sich stritten. Obwohl ich den Siedlern ein außerordentliches Maß an Kooperation bescheinigen muß, könnte ich nicht behaupten, daß es eine hundertprozentige Übereinstimmung gab.«
»Wurden Streitigkeiten und Kontroversen denn als unangemessen oder inakzeptabel betrachtet?«
Leicht verärgert schüttelte Shan den Kopf. Er kannte diese Fragen genausogut wie Reticingh und wußte, in welche Richtung er dirigiert werden sollte.
Reticingh dachte einen Moment lang nach. »Ein weiteres Indiz für mentale Beeinflussung ist ein wie auch immer gearteter Fanatismus. Extreme Hingabe an ein System, eine Philosophie oder eine Gottheit. Stumpfsinnige Rituale zum Beispiel. Ausgedehnte Gebete. Ist dir irgend etwas in dieser Art aufgefallen?«
»Sie haben diese Tempel gebaut«, sagte Shan. »Sie haben sie in jeder Siedlung errichtet, glaube ich.«
»Und welchen Grund haben sie dafür angegeben?«
Shan erinnerte sich an Sams Begründung und gab sie wörtlich wieder.
»Wieso kommt dir das so ungewöhnlich vor?« fragte Reticingh. »Auf Phansure gibt es praktisch in jedem Dorf ein Denkmal für die Gefallenen des Bürgerkriegs. Hier auf Thyker haben wir Inschriftentafeln für die Opfer der Seuche. Widmen die Siedler dem Bau der Tempel etwa überdurchschnittlich viel Zeit? Verbringen sie viel Zeit in den Tempeln?«
Erneut schüttelte Shan den Kopf. »Nicht daß ich wüßte.«
»Gibt es Massenaufläufe von Gläubigen? Leute, die sich stundenlang ins Gebet vertiefen? Irgend etwas in der Art?«
»Nicht daß ich wüßte. Aber sie singen, Onkel Holo.«
»Obwohl Vokalmusik auf Thyker keinen allzu hohen Stellenwert genießt«, sagte Reticingh nach einer kurzen Pause, »zumindest nicht bei den Baidee, wirst du wohl zugeben müssen, daß dennoch viele Leute singen. Dein Bruder singt doch auch! Wir können schließlich nicht alle Sänger einer Gedankenkontrolle unterziehen. Auf Phansure und Ahabar gibt es große Orchester und eine musisch interessierte Bevölkerung, und obwohl die Dirigenten während einer Vorstellung scheinbar absolute Kontrolle über die Musiker haben, glauben wir nicht, daß das Bewußtsein der Musiker manipuliert wird.« Er legte eine Pause ein, um die Ausführungen auf Shan wirken zu lassen. »Die Entscheidung, einem Orchester anzugehören, impliziert, daß sie sich dem Dirigenten unterordnen.« Er gab Shan Gelegenheit, das zu verdauen, bevor er fortfuhr.
»Ein drittes Indiz für eine Versklavung wäre der Versuch der Kontrollierten, den Kreis der beeinflußten Personen zu erweitern. Hast du solche Manipulationen bei dir festgestellt?«
Shan stieß ein freudloses Lachen aus. »Nein, Onkel Holo. Nein und nochmals nein. Wir werden den Grund meines Unbehagens jedenfalls nicht herausfinden, wenn wir es mit dem konventionellen Ansatz versuchen! Nein, nein und nochmals nein. Sie haben nichts getan, nichts gesagt und auch nichts angedeutet. Sie verhalten sich ganz normal, nur daß sie einen unnatürlich zufriedenen Eindruck machen…«
»Zufrieden?« unterbrach Reticingh ihn. »Was meinst du damit?«
»Sie vermitteln den Eindruck von… Zufriedenheit. Nein, es ist mehr als nur Zufriedenheit. Lebensfreude.«
»Nun, nach dem, was du mir bisher erzählt hast, führen sie auch ein gesundes, streßfreies Leben. Und im Gegensatz zu den meisten Populationen haben die Leute auf Hobbs Land sich freiwillig für ihre Lebensweise entschieden. Ich glaube, daß alle, für die dieses Leben doch nicht das Richtige war, mittlerweile aufgegeben haben und abgereist sind.« Er schaute Shan unschuldig an. »Jeder, der den Planeten verlassen will, darf das doch tun?«
»Sicher«, sagte Shan störrisch. »Aber trotzdem glaube ich, daß etwas…«
»Du glaubst, daß etwas Böses und Bedrohliches vorgeht. Du weißt nicht weshalb, du weißt nicht wie, du weißt nicht was; aber irgend etwas stimmt nicht. Nicht wahr?«
»Ich möchte den Skrutatoren meine
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