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Monströse Welten 2: Hobbs Land

Monströse Welten 2: Hobbs Land

Titel: Monströse Welten 2: Hobbs Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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auch bekommen.«
    Nach einer Weile gingen sie wieder, und Sam setzte die Arbeit an der Grube fort. Als er fertig war, hebelte er mit dem Spaten den Sargdeckel auf. Die Frau war noch nicht lange tot. Der Verwesungsprozeß hatte gerade erst eingesetzt. Samstag lüftete den Schleier der Toten. Sie war fast noch ein Kind, nicht älter als Samstag. Das alabasterweiße Baby lag an ihrer Brust; es hatte die winzige Hand an den Hals der Mutter gelegt.
    »Woran denkst du gerade?« fragte Sam neugierig und nervös zugleich. Er war bisher nur auf einer Beerdigung gewesen, der von Bondru Dharm, und danach hatte die Trauer ihn regelrecht gelähmt.
    »Ich finde, daß die Baidee in mancherlei Hinsicht recht haben«, sagte sie. »Sie sagen, unsere Existenz sei nur durch das Bewußtsein definiert. Und der Tod ist deshalb so schrecklich, weil wir es zurücklassen. Es wäre besser, wir würden nach dem Tod einfach wie ein Funke erlöschen. Dann würden wir bewußter leben. Statt dessen trauern wir um leblose Körper. Wenn ich diese Frau mit ihrem Kind sehe, möchte ich am liebsten weinen.«
    Mit tränennassen Augen drehte sie sich zu Sam um. »Sie war noch ein Mädchen, Topman. Nicht älter als ich. Sie und das Baby hätten wie Feuerwerkskörper verglühen müssen.«
    »Dann hättest du aber nichts, was du für den Gott vergraben könntest«, erwiderte Sam aufgewühlt.
    »Du hast wohl recht«, sagte sie seufzend. »Ich sollte dankbar sein. Hilf mir, sie aus dem Sarg zu heben.«
    Sie legten den starren Körper in die flache Grube. Samstag knöpfte die Bluse auf, trennte eine Naht auf und riß den darunter verborgenen Plastikbeutel auf. Die darin enthaltene faserige Substanz war feucht und roch nach Erde. Samstag kniete sich hin und deponierte sie zwischen der Frau und dem Kind.
    »Wie du siehst, wäre es ohne deine Hilfe nicht gegangen«, sagte Samstag beim Aufstehen zu Sam. »Allein hätte ich das Grab nicht ausheben können.«
    »Sam, der Totengräber«, kommentierte dieser nüchtern. »Das ist kaum der Stoff, aus dem Legenden sind. Eigentlich hatte ich mir von dieser Reise mehr versprochen als das Ausheben von Gräbern, Samstag Wilm.«
    Sein entschlossener Ton ängstigte sie ein wenig. Schweigend schaufelten sie das Grab zu und glätteten die Oberfläche. Die überschüssige Erde füllten sie in den Sarg und legten wieder den Deckel darauf, so daß alles aussah wie vorher.
    »Denkst du oft über solche Dinge nach?« wandte Sam sich an Samstag. »Daß das Bewußtsein den Körper verläßt oder wie ein Funke erlischt?«
    Nach kurzer Überlegung nickte sie. »Im Grunde sind es nicht meine eigenen Gedanken. Ich empfange sie von anderen Leuten. Ich glaube, das ist normal für Diejenigen Welche. Manchmal habe ich den Eindruck, daß ich… Äußerungen von Africa, China oder sogar Maire wiedergebe.«
    Sam nickte. »Wo werden sie den Tempel wohl erbauen?« fragte er. »Wir befinden uns hier mitten in der Stadt.«
    »Hier«, sagte Samstag und zeigte auf den Kirchhof.
    »Vielleicht werden sie die Kirche abreißen, um Platz zu schaffen. Zumal sie dann ohnehin überflüssig wäre. Vielleicht werden sie den Tempel über den Gräbern errichten.«
    Nachdem sie sich schon ziemlich weit von der Kirche entfernt hatten, versteckte Sam den Spaten in einer Seitenstraße. Dann gingen sie ganz unverfänglich weiter, wie zwei Leute, die einen Spaziergang machten. Sie waren nicht die einzigen, die unterwegs waren. Dann kehrten sie in einem Gasthaus ein und aßen zu Abend. Samstag musterte die paar verschleierten Frauen, die sich in der Gaststätte aufhielten. Zum Trinken mußten sie das Glas hinter den Schleier bugsieren. Welch ein unökonomischer Vorgang. Sie war die älteste unverschleierte Person im Raum, zusammen mit einigen jüngeren Mädchen.
    Beim Verlassen der Gaststätte sahen sie an einer Straßenecke eine verschleierte, singende Frau. Die Passanten warfen ihr ängstliche Blicke zu.
     
Das letzte Geflügelte Wesen kam über das Meer.
Es flog nach Scaery auf Schwingen aus Schaum,
ohne Füße, wie man von Engeln sagt…
     
    »Warte«, sagte Samstag, als sie die Straßenecke fast erreicht hatten.
    »Wieso denn?«
    »Hör doch. Sie singt Maires Lied.«
     
»›Habt ihr gerufen‹, fragte es mit einer Stimme
so leise, daß sie ungehört in der Dunkelheit verhallte.
›Habt ihr gerufen‹, fragte es, ›weil ihr
einen Verlust beklagt oder weil ihr Schmerz empfindet,
habt ihr mich an einen Ort gerufen,
zu dem sonst kein Geflügeltes Wesen geht,
habt

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