Monströse Welten 2: Hobbs Land
dieser Ansicht zu sein.«
»Das wäre aber höchst unerfreulich. Man könnte fast glauben, daß es nur noch Fanatiker gibt. Wollen sie vielleicht einen Kreuzzug führen? Wähnen sie sich im Besitz der absoluten Wahrheit? Wollen sie etwa ganze Völker wegen Häresie vernichten? Auf dem Scheiterhaufen verbrennen oder in die Öfen schieben?« Als Historiker wußte Rasiel auch über die barbarischen Perioden der Menschheitsgeschichte Bescheid.
Cringh antwortete nicht sofort, und als er dann sprach, tat er das mit einem nachdenklichen Unterton, der ihm einen bösen Blick von Rasiel eintrug. »Nein, vielmehr hat es den Anschein, daß die Leute sich in zunehmendem Maße kooperativ und zuvorkommend verhielten und gar nicht mehr imstande seien, andere zu verletzen.«
Dann trat ein längeres Schweigen ein.
»Junge Heißsporne, sagst du?« fragte Rasiel Plum nachdenklich.
»Jede Religion hat ihre Eiferer«, sagte Cringh.
»Solche Berserker haben auch die Invasionsarmee vernichtet, die Thyker angegriffen hat. Wann war das gleich noch mal?«
»Vor langer Zeit.«
»Ist die Identität der Leute bekannt?«
»Ein Bursche namens Howdabeen Churry hat eine Truppe aufgestellt, die sich als ›Arm der Prophetin‹ bezeichnet.«
»Weshalb nennen sie sich so?«
»Weshalb nennen die Voorstoder Terroristen sich ›Gläubige‹?«
Erneut trat ein langes Schweigen ein.
»Nun«, sagte Rasiel Plum schließlich. »Ich werde die Fragen stellen. Einige zumindest. Inoffiziell.« Er betrachtete die vor ihm liegende Liste. »Wir fangen mit den Fragen Eins, Zwei, Vier und Fünf an.«
* * *
Am nächsten Morgen wurden Sam und Samstag von einem anderen Fahrzeug abgeholt; wer ihr Gastgeber auf Wander Keep gewesen war, würden sie wohl nie erfahren. Beim Fahrer handelte es sich um einen wortkargen Mann um die Siebzig, mit grauem Haar und spitzem Kinn, der einen monotonen Singsang anstimmte und während der ganzen Fahrt nach Selmouth keine Notiz von seinen Passagieren nahm.
Schließlich setzte er sie vor einer Taverne ab. »Geht hinein«, sagte er und wies auf die Kneipe. »Sagt dem Wirt, ihr müßtet weiter nach Norden.«
»Wie weit nach Norden?« fragte Sam.
»Das werdet ihr in Wolke erfahren«, sagte der Chauffeur und spuckte vor Sam aus.
»Gibt es dort eine Kirche?« fragte Samstag.
Der Fahrer starrte sie eine Zeitlang an. »Sieh dich um, Mädchen«, sagte er schließlich. »Oder sperr die Ohren auf. Türme und Glocken, das sind Kirchen.«
»Eine Kirche?« fragte Sam.
»Beerdigungen«, präzisierte Samstag. »Maire hat mir erzählt, daß es in dieser Religion Beerdigungen gibt.«
Sam nickte nachdenklich. Maire hatte wirklich die Religion von Voorstod erwähnt, oder vielmehr die Religionen, denn die Priester und die Propheten hatten jeweils ihre eigene Religion, auch wenn sie oft zwei Seiten einer Medaille darzustellen schienen. Die Propheten waren für Krieg und Mord zuständig. Die Priester für Eheschließungen und Begräbnisse.
»Wenn du wissen willst, wann die nächste Beerdigung stattfindet, müssen wir für eine Weile in Selmouth bleiben«, sagte er und prägte sich die Fassade der Taverne ein, um sie jederzeit wiederzufinden. Sie hieß ›Horn und Dolch‹, wobei das Emblem ein um einen Dolch geschlungenes Horn zeigte.
»Aber nicht länger als unbedingt nötig«, erwiderte sie. »Die Frau, die uns nach Wander gebracht hatte, sagte, die Sache sei hier stark vertreten. Und nicht nur hier, sondern auch in Wolkenhafen, Scaery und Sarby.«
»Gleich an vier Orten?«
Sie nickte und ließ den Blick über die Stadt schweifen. Türme gab es hier reichlich. »Machen wir einen Spaziergang«, sagte sie.
Vor der dritten Kirche hatte sich eine Hochzeitsgesellschaft versammelt. Neugierig verfolgten Sam und Samstag, wie die ganz in Weiß gekleidete Braut und der einen pittoresken Trachtenanzug tragende Bräutigam unter einem Körnerhagel die Kirche verließen. Die Braut war vollständig verhüllt, und deshalb wußte man auch nicht, ob sie überhaupt eine glückliche Braut war. Vor der vierten Kirche hob ein alter Mann ein tiefes Grab aus. Auf ihre entsprechende Frage sagte er, das Begräbnis würde am nächsten Tag stattfinden.
»Zu tief«, murmelte Samstag beim Weitergehen. »Wir brauchen eine flache Grube.«
Vor der achten Kirche schließlich verließ gerade eine Trauergemeinde eine Krypta. Durch die offene Tür sahen sie den auf dem Erdboden abgestellten Sarg. Das Gitter, mit dem die Tür gesichert wurde, stand offen; der Schlüssel
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