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Monströse Welten 2: Hobbs Land

Monströse Welten 2: Hobbs Land

Titel: Monströse Welten 2: Hobbs Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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und Voorstod, die drei Völker, die Voorstod dem Propheten beim Exodus von Menschenheimat gefolgt waren. Voorstod mit seinen Pastoren, Zorn mit seinen Priestern und Eisen mit seinen Propheten: Erstere waren Herren der Sklaven, die zweiten Herren der Frauen und letztere Herren der Männer – wobei jedoch nicht ganz klar war, ob sie nun über die Männer herrschten oder ob die Männer sie ihrerseits bloß als Herrschaftsinstrumente benutzten. Das war nämlich typisch für die Götter der Männer, die alten Götter der Männer. Daß die Götter ihre Herrschaftsinstrumente waren.
    »Zorn, Eisen und Voorstod«, rief der Soldat und marschierte in östlicher Richtung davon.
    Schaudernd ging Sam weiter. Weit zu seiner Linken sah er einen Propheten einherschreiten, mit Beinen wie Pleuelstangen und einem Gesicht hart wie Stahl; seine Leute wirbelten beim Marschieren kleine Staubwolken auf. Obwohl er so weit entfernt war, identifizierte Sam ihn. Ein Prophet auf der Pirsch, der den Vernichtungsfeldzug der Soldaten beobachten wollte.
    »Wenn ihr keine Feinde hättet«, sagte Sam, »welches Leben würdet ihr dann führen? Wenn es keine nächtlichen Räuber gäbe, die eure Lämmer töten, wie würdet ihr dann leben? Welchen Sinn hätte euer Leben?«
    »Zorn«, rief ein großer Soldat und stampfte so fest mit den Füßen auf, daß der Boden erbebte.
    »Eisen«, rief ein anderer.
    Der Schlachtruf der Propheten. Sam hatte ihn bereits gehört, in jener Nacht in Scaery, als die Grüne-Schlange-Leute und die Waldvogel-Leute durch die Straßen gezogen waren und die Propheten sie mit Trompeten, Schreien und Zitaten aus den Schriften verjagt hatten. Sie kultivierten Zorn und Haß, denn daraus bezogen sie ihre Legitimation. Ohne diesen Zorn und Haß waren sie gar nichts.
    Hatte Phaed die Schriften zitiert, als Sam ein Kind gewesen war? Erinnerte er sich überhaupt noch an Phaed? Wenn er in der Küche mit ihren vielfältigen Gerüchen stand? Wenn er morgens aufwachte? Wenn er sich das Haar kämmte? Diese Haarfülle mußte er manchmal gekämmt haben, vielleicht an einem dieser seltenen warmen und sonnigen Nachmittage, im kleinen Garten neben dem Haus, wo die Küchenkräuter wuchsen und die Insekten summend um die Blüten herumschwirrten.
    Er erinnerte sich an Maire, die sich dort das Haar gekämmt hatte, aber nicht an Phaed. Er versuchte, sich an Phaed zu erinnern.
    Aber er wußte nicht mehr, wie er ausgesehen hatte. Er erinnerte sich noch an seine Präsenz – wie die des Allmächtigen, des Allwissenden, des Herrn des Universums, der über ihnen schwebte und mit fürchterlichen Strafen drohte –, aber nicht an den Mann. An die Faustschläge, aber nicht an den Mann.
    Es hatte eine Zeit gegeben, da er Phaeds Stimme gehört hatte. Es mußte eine solche Zeit gegeben haben. Maire hatte irgend etwas von Bedürfnissen gesagt. Und der Mann, unsichtbar, sagte: »Ein Mann braucht niemanden.« Zorn, Eisen und Voorstod, und mehr brauchte ein Mann nicht.
    Der Sprecher war unsichtbar geblieben. Eine Stimme ertönte in der Nacht, dann weitere Stimmen, und dann ein Schmerzenslaut. Und der Mann war, wie Gott, überall, aber er war in der Dunkelheit verborgen. Religionen und Legenden alter Männer, die in der Dunkelheit verborgen waren, damit man sie nicht erkannte. Damit sie keine Rechenschaft ablegen mußten. Also verharrten sie weiter in der Dunkelheit, kultivierten ihren Zorn und Haß und verrotteten langsam.
    In seiner Erinnerung hatte Phaed immer das Licht des Tages gescheut. Er glich den Kreaturen der Nacht, die in der Abenddämmerung aus ihren Löchern krochen. »Tief unter der Erde«, hatte Maire gesagt. »Eingemauert wie in einer Gruft.«
    »Ich war erst sechs«, sagte Sam sich und zog daraus die entsprechenden Schlüsse. Was man mit sechs Jahren von den Erwachsenen wahrnimmt, sind meistens die Hände. Und die Knie. Die Gesichter sieht man nur, wenn sie sich hinknien. Phaed hatte sich nie hingekniet.
    Wo bist du, Phaed?
    Weit zur Rechten marschierte der Awateh mit zwei seiner Söhne vorbei; der Awateh bewegte sich wie ein Roboter, mit Trippelschritten, wobei der Kopf auf dem Hals pendelte wie bei einem Aufziehspielzeug. Sam befand sich auf dem Hügel, und sie waren in der Ebene. Sie gingen in östlicher Richtung weiter, ohne daß sie ihn bemerkt hätten.
    Sie hätten ihn eigentlich sehen müssen.
    Hatten sie vielleicht etwas anderes im Blick?
    Sam verharrte reglos und drehte sich dann um.
    Grüne Schlange und Waldvogel, Feuerfisch und Gürteltier

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