Monströse Welten 2: Hobbs Land
denn sie hatten Einbände aus seltenen Leder- und Holzsorten, und auf dem Künstlermarkt der Zentralverwaltung hielt er immer Ausschau nach neuen Exemplaren. Die Seiten wurden natürlich von den Archiven erstellt; allerdings war es Sam nach einigen Bemühungen gelungen, seine Vorstellungen bezüglich Seitengröße, Schriftbild und Satzspiegel durchzusetzen. Die Abbildungen hatte er auch selbst ausgewählt, wobei er jeweils entschieden hatte, ob die Illustrationen aus Reproduktionen von Holzschnitten, Kupferstichen, Gemälden oder gar Fotografien bestehen sollten, die dann von den Archiven hergestellt wurden. Jedes Buch enthielt mindestens eine Geschichte, die er in den Archiven gefunden hatte – die Sage von Theseus war zuerst aufgelegt worden –, wobei Sam jede Geschichte dergestalt verändert und umgeschrieben hatte, bis sie seinen Vorstellungen von wahrem Heldentum entsprach. Nach der Drucklegung versah er die Bücher dann mit stabilen, sorgfältig gearbeiteten Deckeln mit dekorativen Vorsatzblättern, die eine Frau aus einer anderen Siedlung angefertigt hatte; zum Schluß wurden die Titel in goldenen Lettern eingeprägt. Die von Sam produzierten Bücher wiesen eine große Ähnlichkeit mit den Bänden auf, die er im Archiv gesehen hatte. Die Museen bewahrten sie in Vakuum-Vitrinen auf, und manche der jahrtausendealten Bände stammten sogar noch von Menschenheimat.
»Sie riechen so gut«, hatte Maire immer gesagt, ohne indes daran zu denken, sich einmal mit dem Inhalt der Werke zu befassen. Sie hatte noch nie ein herkömmliches Buch gelesen. Von den Studenten an den Universitäten und den Besuchern der großen Bibliotheken abgesehen, hatten die wenigsten Leute einmal ein Buch in die Hand genommen. Wenn man wissen wollte, was in den alten Bänden stand, war es bequemer, sich an den Computer zu setzen, der einem dann eine Zusammenfassung oder einen Kommentar ausdruckte oder gar eine Verfilmung des jeweiligen Werkes vorführte, wenn einem der Sinn danach stand.
»Warum investierst du soviel Zeit darin?« hatte Sal gefragt und die Kinder von den Regalen ferngehalten, damit sie nicht aus Versehen ein Buch auf den Boden warfen und zerstörten. Sam indes hatte nur nach seinem Lieblingsbuch gegriffen und sich hingesetzt. Ein Kind saß auf dem Schoß und zwei schauten ihm über die Schulter, während er ihnen die Bilder zeigte. Fasziniert lauschten sie der Legende vom Helden der alten Menschenheimat, dessen Vater ein Schwert und ein Paar Stiefel unter einem Felsbrocken versteckt hatte. Und als der Held seinen Vater schließlich gefunden hatte, wurde er damit beauftragt, gegen den bösen Minotaurus zu kämpfen.
»Warum hat der König das gemacht?« fragte Sams ältester Neffe. »Der Junge ist einfach hingegangen.«
»Was ist denn ein Vater?« wollte der Zweitälteste wissen.
»Wie ein Erzeuger«, hatte Sam leicht pikiert erwidert. »Und weil der König wußte, daß sein Sohn ein Held werden wollte, hat er ihm eine heldenhafte Aufgabe gestellt.« So stand das zwar nicht in den Archiven, aber in Sams Augen hätte es sich so abspielen müssen, zumal Theseus ihm nicht widersprochen hatte.
»Ich wäre in Athen in Sicherheit gewesen«, hatte Theseus ihm gesagt. »Aber bloße Sicherheit wäre meiner nicht würdig gewesen. Also habe ich darum gebeten, nach Minos gehen zu dürfen. Ich bin dem Minotaurus mit einem Lied auf den Lippen entgegengetreten.« Er schürzte die Lippen, und sein Gesicht wurde zu einer Maske, die Zuversicht und Mut ausstrahlte.
»Ich weiß«, hatte Sam keuchend gesagt. »Du mußtest dem Tod ohne mit der Wimper zu zucken ins Auge sehen, um dich des Königs würdig zu erweisen.«
»Ich nehme an, der Held und sein Vater haben am Ende der Geschichte zueinander gefunden«, fragte Sal mit einer gekünstelten Anteilnahme, die Sam jedoch ignorierte. »Darum geht es bei der Geschichte doch, nicht wahr?«
»Ich glaube schon«, erwiderte Sam, wobei er sich erinnerte, daß die Geschichte durchaus kein Happy End gehabt hatte. Der Vater des Helden war zum Schluß gestorben, weil der Held entweder des Guten zuviel getan oder etwas Wichtiges unterlassen hatte. Wie dem auch sei, sein Schicksal hatte sich erfüllt. Es war ihm ohnehin bestimmt gewesen, zu sterben.
Sam hatte auch die Geschichte des Heopthy Jorn gelesen, der seinem Vater versprochen hatte, die Einheit des Königreichs zu bewahren. Dann wurde er jedoch von seinem älteren Bruder in den Kerker geworfen, als Opfergabe für das grausame, menschenfressende
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