Monströse Welten 2: Hobbs Land
nicht mehr mit ihr spielen wolle. Also holte Dad die Peitsche und verließ das Haus. Wenig später hörte Maire Fess schreien.
»Sie wird jetzt mit dir spielen«, sagte Dad, als er wieder das Zimmer betrat und die Peitsche zusammenrollte. Sie war naß und hinterließ Tropfen auf dem Fußboden, kleine dunkle Punkte, die niemand sah außer Maire.
Maire sah Fess am nächsten Tag wieder, als Mam mit Medikamenten und Lebensmitteln zu den Unterkünften der Gharm ging. »Sieh dir das an«, zischte Mam ihr zu. »Das soll dir eine Lehre sein. Es ist deine Schuld, weil du dich in der Gegenwart deines Vater über die Gharm beschwert hast, Maire. Es reicht schon, wenn sie von den Pastoren ausgepeitscht werden; dann muß dein Vater das nicht auch noch tun. Merk dir das!«
Fess’ Rücken war mit blutigen Striemen übersät; an einigen Stellen schien sogar das Weiß der Knochen durch. Fess lag mit dem Gesicht zur Wand und sagte kein Wort. Ihr Atem ging rasselnd. Fess lag im Sterben; sie hatte den Kopf in der Ecke zwischen Bett und Wand verborgen. Sie glühte vor Fieber, und bald darauf starb sie. Danach spielten die Gharm nie wieder mit Maire, und sie fragte sie auch nicht mehr, ob sie mit ihr spielen wollten.
Nach diesem Vorfall verklang die Musik in ihr allmählich. Sie hatte einen Traum gehabt, in dem weiße Vorhänge sich sachte vor großen, bogenförmigen Fenstern bauschten, während ein Chor auf einem grünen Hügel sang. Manchmal erschien diese Szene ihr noch im Traum, und dann weinte sie beim Aufwachen über das, was sie verloren hatte.
»Weshalb weinst du, Kind?« fragte Mam ungehalten wegen ihrer Tränen.
»Ich vermisse die Stimmen in meinem Kopf«, sagte sie weinend. »Die vielen Stimmen in meinem Kopf.« Dabei war es Fess, die sie vermißte, Bel und Bitty. Die verlorene Unschuld. Die kleinen dunklen Punkte waren noch immer auf dem Fußboden. Niemand wischte sie auf. Auch wenn Lilla den Boden fegte, waren sie anschließend immer noch da. Schließlich hätte sie kaum sagen können, daß sie Fess vermißte. Also schob sie die Musik in ihrem Kopf vor.
Mam rief sie zur Ordnung und sagte ihr, sie solle keinen Unsinn reden; sonst würden die Propheten kommen und sie abholen. »Schon schlimm genug, daß du draußen singst, wo die Leute und vor allem die Männer dich sehen«, sagte sie. »Wenn du nicht so jung wärst, würde man das nicht dulden. Wenn du außerdem noch Unsinn redest, wird man dir das aber nicht durchgehen lassen, egal wie jung du bist.«
Also enthielt sie sich fortan aller Klagen über die Gharm. Man beschwerte sich nicht über sie, es sei denn, man nahm in Kauf, daß sie verkrüppelt, verstümmelt oder getötet wurden. Wenn eine Beschwerde laut wurde, nahm ein Mann die Peitsche – es gab sogar Frauen, die das taten –, oder man schickte nach dem Pastor, und das bedeutete dann das Ende des betreffenden Gharm. Dann war es schon besser, sie einfach zu ignorieren. Der Nebel unterstützte sie dabei. Wenn man nicht hinter das Haus trat, sah man nicht einmal die Quartiere der Gharm. Und es war auch möglich, die Haus- und Feld-Gharm zu ignorieren. Mit der Zeit sah man einfach durch sie hindurch, als ob sie gar nicht da wären, und man sprach auch nicht mehr von ihnen, um Denunzianten keinen Ansatzpunkt zu bieten.
Bald ging Maire auf die Zorn-Mädchenschule, um sich von den zölibatären Lehrern unterweisen zu lassen. Und in der Schule sang sie. Sie gab kleinere Konzerte, und einmal sang sie sogar vor ganz Voorstod. Das Konzert fand in Wolke statt, auf einer Plattform, die auf dem Marktplatz über den Pfählen errichtet wurde, an denen sonst die Delinquenten ausgepeitscht wurden. Es war das letzte Mal, daß sie sich ohne Schleier in der Öffentlichkeit zeigte. Weil sie mit ihren zwölf Jahren nun eine Frau war, war es ihr nur noch erlaubt, vor anderen Frauen und vor ihrer Familie zu singen oder Aufnahmen zu machen, nur daß ihr Portrait nicht auf dem Cover erscheinen durfte. Sie legte die Kutte an, welche die Frauen laut Anordnung der Propheten in der Öffentlichkeit zu tragen hatten, bis sie alt und grau geworden waren und bei den Männern keine Lustgefühle mehr wecken konnten. Die Männer waren nämlich zu wichtig und wertvoll, als daß man sie der üblen Versuchung hätte aussetzen dürfen, die von den Frauen ausging. Weshalb sollten die Männer das Paradies des Gesichts einer Frau oder der Kurven ihrer Brüste wegen aufs Spiel setzen? Erst als alte Frau würde Maire die Kutte ablegen und das Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher