Monströse Welten 2: Hobbs Land
Scaery im County Bight gelebt, wo die Ost- und Nordküste der Halbinsel von Voorstod sich trafen und wo Voorstod wie ein Knie in die graue See von Ahabar hinausragte. Über dem grünen Marschland wogten die dichten Nebel, so weich und schützend wie die Schwingen eines Engels. Weil ihre Geschwister alle viel älter waren als sie, spielte sie mit den Gharm-Kindern. Sie waren kleiner als sie, hatten einen dunkleren Teint und sehr geschickte Hände. Wenn sie unter sich waren, unterhielten sie sich manchmal in der alten Sprache ihres Volkes, obwohl sie das eigentlich nicht tun durften. Wenn man sie dabei ertappte, wie sie sich dieser Sprache bedienten, so hatten sie Maire erzählt, würden die Pastoren von Voorstod sie zur Strafe auspeitschen.
Jeden Morgen ging Maire hinaus in den Nebel, zu den hinter dem Haus gelegenen Quartieren der Gharm. Fess und Bel lebten dort, die Töchter der Haus-Gharm der Manones, und Bitty, ein Sohn der Feld-Gharm der Manones.
»Was wollen wir denn spielen?« fragte Maire.
»Abenteuer«, schlug Bitty vor. »Wir gehen an einen weit entfernten Ort und jagen ein Monster.«
»Ich bin das Monster«, sagte Fess. Fess war das größte der Gharm-Kinder, fast so groß wie Maire. Fess spielte gern das Monster, den großen Ally-Gaggle im Sumpf oder den Riesen, der sie alle in den Kochtopf gesteckt hatte.
Also war Fess das Monster, und das Monster fing Maire und hielt sie gefangen, bis Bitty in letzter Minute zu ihrer Rettung eilte.
Fess’ Mutter, Lilla, war Maires Kindermädchen-Gharm gewesen. Als Maire noch ein Wickelkind gewesen war, hatte Fess’ Mutter sich um sie gekümmert. Und auch später ging Maire, wenn sie unglücklich war, noch zu Lilla und weinte sich bei ihr aus.
Manchmal gingen die Kinder hinaus auf die Felder und spielten Verstecken. Dabei waren die Gharm natürlich im Vorteil, denn wegen ihrer geringen Größe war es schwer, sie zu finden, und wenn sie dann doch aufgestöbert wurden, krümmten sie sich schier vor Lachen.
»Ich liebe dich, Fess«, sagte Maire Manone. »Und ich liebe dich, Bel.«
Daraufhin umarmten Fess und Bel sie, aber keine von beiden sagte ein Wort.
»Ich liebe Fess und Bel«, sagte Maire zu ihrer Mutter.
Die wurde plötzlich sehr schweigsam.
»Wie ist ihr Nachname, Mam?« fragte Maire, worauf ihre Mutter ihr sofort mit zwei Fingern den Mund verschloß; Maire hatte nämlich an ein Tabu gerührt.
»Die Gharm haben keine Familiennamen«, sagte ihre Mutter im Flüsterton. »Nur Rufnamen, Maire. Keine Nachnamen. Wenn du einen Gharm brauchst, dann verwende den Vornamen. Mehr ist nicht nötig.«
Also war Fess nur Fess und Bel war nur Bel, aber Maire hieß mit vollständigem Namen Maire Manone.
»Ich habe zwei Namen, und ihr nicht«, krähte sie. »Ich habe zwei Namen.«
Mit großen Augen drehte Fess sich zu Bel um. Bel runzelte die Stirn. Zuerst wirkten beide schockiert und verwirrt, doch dann wurden sie ganz gelassen, als ob ein Feuer in ihnen erloschen wäre. Lilla stand an der Hintertür des Hauses und hörte zu. Das tat sie immer; sie lauschte jedem Wort, das gesprochen wurde. »Fess, Bel«, sagte sie. »Kommt jetzt rein. Es gibt Arbeit.«
Wortlos wandten sie sich ab und verschwanden im Nebel.
»Sie wollen nicht mehr mit mir spielen!« beklagte Maire sich bei ihrer Mutter.
»Sie müssen arbeiten«, sagte sie mit leiser Stimme. »Laß sie in Ruhe, Kind.«
»Ich will aber, daß sie mit mir spielen«, sagte Maire weinend.
Ihr Vater hörte das und sagte: »Du rufst diese Brut beim Vornamen, Maire Manone, und dann sagst du ihnen, was du von ihnen willst, und sie werden es tun.«
Also sagte sie »Fess«, und Fess kam. Sie sagte: »Spiel mit mir«, und Fess tat alles, was Maire von ihr verlangte. Alles. Hinsetzen. Sag dieses. Sag jenes. Steh auf und hol mir dies und das. Nur daß Fess nichts aus eigenem Antrieb tat. Sie befolgte zwar jede Anweisung von Maire, aber sie ergriff nicht selbst die Initiative.
»Du spielst ja gar nicht richtig!« rief Maire.
»Ich tue alles, was du mir sagst«, erwiderte Fess emotionslos. »Stehe zu Diensten.«
»Aber du hast doch früher mit mir gespielt!«
»Das war, bevor du uns gesagt hast, daß du zwei Namen hättest. Damit hast du ausgedrückt, daß du die Herrin bist und wir die Sklaven sind.«
Nachdem Maire ins Haus gegangen war, brach sie in Tränen aus. Dann kam Dad herein. Er war müde und hatte sich außerdem über irgend etwas geärgert. Er fragte sie nach dem Grund ihres Kummers, und sie sagte ihm, daß Fess
Weitere Kostenlose Bücher