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Monströse Welten 2: Hobbs Land

Monströse Welten 2: Hobbs Land

Titel: Monströse Welten 2: Hobbs Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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mit einem schweren Klotz ohne Griffe, den kein Mensch fortbewegen konnte. Diese Vorstellung war irgendwie tröstlich. Wenn Dad zu schwer war, um ihn fortzubewegen, dann befand er sich noch immer in Voorstod, wo Sam ihn im Bedarfsfall ausfindig machen konnte. Voorstod auf Ahabar würde nie vergehen, halb verhüllt von Nebelschwaden, mit dem Geruch nach Rauch und den an den Wänden sprießenden Pilzen.
    Auf Hobbs Land – wie fast überall im System – hatten die Kinder Onkel statt Väter, wobei Sam jedoch ohne jedwede männliche Bezugsperson aufwuchs. Den Brüdern, die Maire in Voorstod hatte, wäre es nämlich nie eingefallen, die Sache zu verraten und Ahabar zu verlassen. Also betrachtete Sam die Kriegerfiguren hilfsweise als Vater und Onkels. Er plazierte sie auf dem Nachttisch, wo er sie beim Einschlafen im Blick hatte. Der glattrasierte Zorn, der Sandalen und ein Wams anhatte und mit Schild und Schwert gewappnet war; der bärtige Eisen, der ein wallendes Gewand und einen Federbusch trug und mit einem Krummsäbel bewaffnet war; und schließlich Voorstod mit einem Schnurrbart und schweren Stiefeln, der eine Peitsche im Gürtel stecken hatte. Voorstod bedeutete soviel wie ›Todespeitsche‹, und er war der Wildeste des Trios. In Sams Augen hatte er sowohl vom Äußeren als auch vom Wesen her die größte Ähnlichkeit mit Dad.
    Sam wuchs zu einem pflichtbewußten, braven Jungen heran, der zu allem ›Ja‹ sagte, um Schwierigkeiten zu vermeiden und dann doch machte, was er wollte. Er war gehorsam, aber nicht unterwürfig, hatte einen wachen Verstand und ein gutes Erinnerungsvermögen. Wegen seines gleichmütigen Gesichtsausdrucks wußte man nie, was wirklich in ihm vorging. Der Schein trügt, schien er manchmal sagen zu wollen, und im übrigen traf auf ihn wohl der Spruch zu, daß stille Wasser tief sind. Auf jeden Fall gab er seiner Umwelt manchmal Anlaß zu Irritationen. Hinter jeder Wahrnehmung und hinter jeder Erklärung wähnte Sam eine tiefere Wahrheit.
    Als Sam dann etwa zwanzig war, betrachtete er vor dem Einschlafen manchmal namenlose Sternbilder und philosophierte über seine Identität, über die Natur von Hobbs Land und stellte sich die Frage, was er überhaupt hier sollte. Die Siedler sprachen über alle möglichen Welten, reale und solche, die nur in ihrer Phantasie existierten. Hobbs Land indes mußte real sein, denn wem hätte eine solche Welt im Traum erscheinen sollen? Niemandem. Das reizlose Hobbs Land wäre dieser Mühe nicht wert gewesen. Von ein paar tausend Quadratkilometern landwirtschaftlicher Anbaufläche abgesehen, gab es keinerlei Zeugnis menschlicher Präsenz auf diesem Planeten. Keine antiken Wälle zogen sich über die Hügel, keine Menhire schmückten das Hochplateau. Den Besuchern der Höhlen offenbarten sich keine farbigen Darstellungen prähistorischer Tiere, die Visionen barbarischer und primitiver Zeiten heraufbeschworen hätten.
    Natürlich hatten nie Urmenschen auf Hobbs Land gelebt. Die Menschen standen schon auf einer hohen Entwicklungsstufe, als sie aus dem Transmitter gekommen waren; sie befanden sich im Besitz einer hochentwickelten Technik und trugen Erinnerungen an vergangene Zeiten und andere Welten in sich. Sie waren vom militaristischen Ahabar gekommen, der Wasserwelt Phansure, dem Bergwerksplaneten Thyker und diversen Monden. Sie waren zivilisierte Völker – wenn auch nicht ein zivilisiertes Volk mit einer gemeinsamen Identität, die Sam für erstrebenswert hielt.
    Und was die historischen Monumente betraf, so spielte es keine Rolle, welche Völker diesen Planeten besiedelt hatten. Auf Hobbs Land gab es keine Monumente, ob sie nun von zivilisierten Völkern stammten oder von Barbaren. Hier war noch nie eine Schlacht geschlagen und ein Feind bezwungen worden. Die Landschaft lag völlig jungfräulich da, unberührt von menschlichem Kampf und Triumph.
    Solche Gedanken gingen ihm vor dem Einschlafen durch den Kopf, und in ihm keimte Sehnsucht auf nach etwas, das er jedoch nicht näher bezeichnen konnte.
    Als Sam wenige Jahre später China Wilm in einer sternenklaren Nacht draußen bei den Hühnerställen küßte, glaubte er gefunden zu haben, wonach er suchte. Er verspürte ganz neue Gefühle und wollte sie in Worte kleiden, was ihm indes mißlang. Er schob die Schuld auf Hobbs Land. Er suchte nach einem Vergleich für ihre sanften Lippen, die dennoch eine unvermutete Kraft ausübten; er wollte diesen Aufruhr, der Körper und Geist erfaßt hatte, in poetischen Worten

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