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Monströse Welten 3: Toleranz

Monströse Welten 3: Toleranz

Titel: Monströse Welten 3: Toleranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sheri S. Tepper
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Hand den Bauch eines Schemens durchstößt). Zwei. Direkt gegenüber der Aufzugstür, Augenhöhe (wo Geister ihn unter die Fittiche nehmen). Drei. Hat er es richtig gemacht, müßte ein Klicken ertönen. Hat er es falsch gemacht, muß er wieder nach oben, noch einmal runterkommen und es erneut versuchen.
    Der Klick zieht sich in die Länge, fast widerwillig. Eine der Metallwände verschiebt sich, bis an der Ecke eine vom Boden bis zur Decke reichende Spalte entstanden ist. Noch bevor die Wand zum Stillstand gekommen ist, quetscht Boarmus sich durch die Öffnung. Die Wand schließt sich hinter ihm, während er verschlungene, mit einem weichen Bodenbelag überzogene Korridore entlangschlurft, die in helles Licht getaucht sind. Als ob er in die Därme eines Glühwürmchens gesaugt würde, hatte er sich mehr als einmal gesagt. Die Korridore werden von Schränken gesäumt, die mit sensorischen Aufzeichnungen und offiziellen Transkriptionen angefüllt sind – die Aufzeichnungen eines Jahrtausends, die von weiß Gott wem angelegt wurden und weiß Gott welche Inhalte haben!
    Die Tür am Ende führt in die Dunkelheit. Erst nachdem die Tür sich hinter ihm verriegelt hat, geht das Licht an und enthüllt die Konsole, den Lautsprecher und die in die untere Wand sowie den Boden eingelassene transparente Platte, durch die er einen Blick auf die darunter befindlichen kristallinen Strukturen hat. Dies ist der Kern, das erste auf Woanders geschaffene Objekt. Noch vor dem Arsenal, vor der Großen Rotunde, vor dem Labyrinth von Toleranz war dies hier gebaut worden, ein riesiges, kompliziertes Gerät, dessen Spiralen sich dem Ende des Blickfelds entgegenschlängeln, tief wie ein Minenschacht, breit wie eine Schlucht. Zusammenballungen von Geistern kleben an den Spiralen, wie Trauben an einem Rebstock. Boarmus sieht sie nicht. Jedenfalls nicht richtig. Aber er glaubt, daß sie da sind.
    »Boarmus«, sagt ein toter Mann mit tonloser Stimme.
    »Hier«, antwortet er. Es ist kalt hier unten. Er unterdrückt ein Zittern, wobei er sich jedoch sagt, daß das nicht an den Geistern liegt, sondern bloß an der Temperatur. Er hat vergessen, einen Mantel anzuziehen. Das nächstemal muß er daran denken.
    »Du kommst zu spät, Boarmus.« Schluck.
    Boarmus zuckt die Achseln. Er nennt diese Stimme, eine, die ihm nicht gefällt, den Schlucker. Immer wieder hat Boarmus das Buch der Biographien studiert. Er glaubt zu wissen, um wessen Stimme es sich handelt, doch er wagt nicht, es beim Namen zu nennen. Vielleicht hat es sich inzwischen in… jemand anders verwandelt. Boarmus schaudert bei der Vorstellung.
    Sein Stolz verbietet es ihm, Furcht zu zeigen; nicht vor ihnen. Chadra Hume hatte zugegeben, daß er nach diesen alptraumhaften Ausflügen manchmal weiche Knie hatte, leichenblaß und in Schweiß gebadet war. Er hatte, so sagte er, gekotzt wie ein kranker Hund, bis ihm die Luft wegblieb. Boarmus hat sich geschworen, daß er nicht so reagieren wird.
    »Es sind noch ein paar Tage bis zum Verstreichen der Frist«, sagt er emotionslos.
    Vor nicht ganz einem Jahr war er zum letztenmal hier gewesen. Die Regeln verlangen einen Besuch pro Jahr, wenn die Bewohner des Kerns erwachen. Ein flüchtiger Gedanke, der hiermit in Zusammenhang steht, springt ihn an, doch bevor er sich konkretisiert, hebt die Stimme wieder an:
    »Wir haben gewartet. Wir sollten nicht warten müssen.« Die Worte sind vorwurfsvoll, der Ton nicht. Die Maschine kann nur eine Klangfarbe synthetisieren. Ein und dieselbe Tonlage für Zorn, Freude, Hoffnung, Schmerz. Wozu auch mehr? Was wissen tote Männer schon von solchen Dingen?
    Und was die Wartezeit betrifft… worauf sollte ein toter Mann schon warten? Morgen oder übermorgen sollten sie aufwachen. Chadra hatte davon gesprochen, daß er selbst lange gewartet hatte und in dieser eisigen Kammer umhergelaufen war, bis einer der toten Männer soweit aufgetaut war, um den Jahresbericht entgegenzunehmen.
    Die Stimme fährt im selben Tonfall fort: »Das Archiv sagt uns, daß Menschen aus der Vergangenheit hier sind. Das Archiv sagt, sie seien Drachen. Erkläre das!«
    Dann waren sie also schon lang genug wach, um das Archiv zu durchstöbern! Verdammt!
    Boarmus holt tief Luft und beschwört die Gottheit der tödlichen Langeweile. Er beschreibt die Zwillinge so vage wie möglich und legt bei jedem Satz ein Gähnen ein. Das letzte, was er jetzt will, ist, das Interesse der toten Männer zu wecken. Bisher haben sie auch kaum welches gezeigt. In der

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