Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Banken und Versicherungen weitere Milliarden von Dollar in den Rachen schmeißt! Das, was uns bevorsteht, ist keine Krise, sondern der vollständige Zusammenbruch des Kapitalismus, ein Tsunami … und keiner dieser hohen Herren hat etwas kommen sehen! Sie haben nichts geahnt.«
»Und trotzdem hat man den Eindruck, dass das Leben weiter seinen Gang geht, dass niemand das wahre Ausmaß des Bankrotts erkennt …«
»Das ist ja gerade das Erstaunliche! Die Krise wird sich ausbreiten wie eine Flutwelle, und die Milliarden, die dieser virtuellen Wirtschaft zum Fraß vorgeworfen werden, führen nur dazu, dass das System früher oder später implodiert.«
»Aber die Leute erledigen einfach weiter ihre Weihnachtseinkäufe, braten ihre Truthähne und schmücken ihren Weihnachtsbaum«, bemerkte Philippe.
»Ja … Als wäre die Gewohnheit stärker als alles andere … als verbände sie uns die Augen. Als ließen wir uns von den Staus beruhigen, dem Schnee, den Radionachrichten am Morgen, dem Kaffee bei Starbucks an der Ecke, von der Zeitung, die wir aufschlagen, dem hübschen Mädchen, das vorbeigeht, dem Bus, der vorn an der Ecke abbiegt … All das bestärkt uns in dem Gedanken, dass die Krise über uns hinwegfliegen wird, ohne uns zu berühren. Mach dich auf eine dramatische Veränderung gefasst, Philippe! Und ich rede nicht einmal von den ganzen anderen Veränderungen, die uns noch bevorstehen: dem Klima, der Umwelt, den Energiequellen … Wir werden uns an den Ästen festklammern und unsere gesamte Lebensweise überdenken müssen.«
»Ich weiß, Stanislas … Ich glaube sogar, dass ich mich seit Langem darauf vorbereite … ohne es selbst zu wissen. Das ist ja gerade das Erstaunliche daran. Vor zwei Jahren hatte ich eine Art Vorahnung. Eine Ahnung dessen, was passieren würde. Ein langsam anwachsender Ekel … Ich ertrug die Welt, in der ich lebte, nicht mehr, die Art und Weise, wie ich lebte. Ich gab mein Pariser Büro auf, gab mein früheres Leben auf, trennte mich von Iris, zog hierher, und seitdem befinde ich mich gewissermaßen im Wartezustand … ich warte auf ein neues Leben. Wie wird es aussehen? Ich weiß es nicht … Manchmal versuche ich es mir vorzustellen.«
»Um dir das zu verraten, müsste man schon ein Hellseher sein! Wir tasten uns blind voran. Wenn du Zeit hast, können wir nach den Feiertagen mal zusammen essen … Dann führen wir diese düsteren Prognosen weiter aus! Bleibst du in London?«
»Heute Abend essen wir bei meinen Eltern. In South Kensington. Alexandre und ich verbringen den Heiligabend bei ihnen, und danach werden wir sehen, worauf wir Lust haben! Ich habe nichts geplant … Ich habe dir ja gesagt, ich lasse die Dinge auf mich zukommen und mache das Beste daraus.«
»Geht es Alex gut?«
»Ich weiß es nicht. Wir reden nicht mehr viel miteinander. Wir leben praktisch in einer WG, und das macht mich traurig … Ich hatte ihn gerade erst richtig kennengelernt, ich liebte unsere Gespräche, unsere Vertrautheit, aber das alles scheint sich in Luft aufgelöst zu haben …«
»Das liegt am Alter … Oder am Tod seiner Mutter. Redet ihr darüber?«
»Nie. Ich weiß nicht einmal, ob ich es versuchen sollte … es wäre mir lieber, wenn er den ersten Schritt machte.«
Stanislas Wezzer hatte weder Frau noch Kinder. Aber er war ein guter Ratgeber für Ehemänner und Väter.
»Hab Geduld, er wird zurückkommen … Ihr hattet ein Band zwischen euch geknüpft … Umarme ihn von mir, und wir sollten uns schnellstmöglich sehen! Du scheinst mir ziemlich einsam zu sein. Gefährlich einsam … Tu nichts Unüberlegtes, um diese Einsamkeit auszufüllen … Das ist die schlechteste aller Lösungen.«
»Wieso sagst du das?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht aus Erfahrung …«
Philippe wartete auf die Fortsetzung dieses angedeuteten Geständnisses, doch Stanislas blieb stumm. Philippe war es, der schließlich das Schweigen brach.
»Mach’s gut, Stan! Und danke für deinen Anruf«, verabschiedete er sich.
Er legte auf und blickte noch eine Weile versonnen hinaus in den Schnee, der auf den kleinen Park fiel. Große, dichte, beinahe schon fette Flocken, die wie Wattebäusche langsam und majestätisch vom Himmel schwebten. Stanislas hatte zweifellos recht. Die Welt, die er gekannt hatte, würde verschwinden. Sie gefiel ihm nicht mehr. Er fragte sich lediglich, wie die Neue Welt aussehen würde.
Er ging ins Wohnzimmer, rief nach Annie.
Sie kam herein, aufrecht in ihrem langen, grauen Rock und ihren
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