Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
das ist zu traurig …«
»Ach was! Ich werde aus dem Fenster schauen und den Ausblick genießen.«
»Am liebsten würde ich dich mit zu mir nehmen … Aber ich kann nicht. Heute Abend essen wir bei meinen Großeltern, und außerdem habe ich meinem Vater noch nie von dir erzählt …«
»Hör auf, dich zu quälen, luv … Hab einen schönen Abend und komm morgen wieder her und erzähl mir davon …«
Philippe hatte richtig vermutet.
Sie trafen um halb neun bei seinen Eltern ein. Monsieur Dupin trug einen marineblauen Blazer und ein seidenes Halstuch. Madame Dupin ein dreireihiges Perlencollier und ein rosafarbenes Kostüm. Das ist normal, flüsterte Alexandre Annie zu, sie zieht immer die gleichen Farben an wie die Königin. Annie trug ein schwarzes Kleid mit Puffärmeln aus Gaze, die wie ein Paar Flügel anmuteten. Sie hielt sich sehr gerade und nickte zu allem aus Angst, einen Fehler zu machen und unangenehm aufzufallen.
Sie setzten sich zu Tisch, aßen gefüllten schottischen Wildlachs, gebratenen Truthahn und einen Christmas pudding , und Alexandre wurde »ein Fingerbreit Champagner« gestattet.
Der Großvater sprach abgehackt, runzelte dazu erbittert die Stirn und schob sein markantes, willensstarkes Kinn vor. Die Großmutter lächelte, neigte ihren langen, biegsamen Hals, und ihre gesenkten Wimpern schienen allem zuzustimmen, insbesondere ihrem Herrn und Gebieter.
Dann wurde es Zeit für die Geschenke …
Bänder wurden durchschnitten, Papier zerknüllt, Rufe erschallten, sie umarmten einander, bedankten sich, tauschten noch ein paar Belanglosigkeiten aus, Neuigkeiten über gemeinsame Bekannte, unterhielten sich lange über die Krise. Monsieur Dupin bat seinen Sohn um Rat. Madame Dupin und Annie räumten den Tisch ab.
Alexandre schaute aus dem Fenster in den dicht fallenden Schnee, der eine neue, unbekannte Stadt über die Stadt breitete. Was, wenn Becca mit ihrem Rollstuhl stecken geblieben war und es nicht in das Gerätehaus des Intendanten geschafft hatte? Was, wenn sie erfrieren würde, während er gemütlich im Warmen saß und sich Champagner und gebratenen Truthahn schmecken ließ?
Um zehn nach elf standen sie auf dem Treppenabsatz vor der Wohnung und umarmten einander zum Abschied.
Draußen auf der Straße waren die Autos schneebedeckt, und der Verkehr floss so langsam, dass man den Eindruck hatte, die Wagen kämen überhaupt nicht von der Stelle.
»Papa, kann ich mit dir reden?«, fragte Alexandre, als er im Fond des Wagens saß.
»Natürlich …«
»Also, es ist so …«
Er erzählte ihm von Becca, wie er sie kennengelernt hatte, von ihren Lebensumständen, davon, wie hübsch, sauber und ehrlich sie war, und betonte, dass sie nicht piekste. Er fügte hinzu, dass sie den Abend allein in einem Gerätehäuschen verbrachte und er nicht aufhören konnte, an sie zu denken, und dass ihm sogar der gebratene Truthahn, den er sonst so gern mochte, heute Abend im Hals stecken geblieben war.
»Es fühlt sich an, als hätte ich eine große Kugel da drin«, sagte er und deutete auf seinen Magen.
»Und was möchtest du jetzt tun?«, fragte Philippe und beobachtete seinen Sohn im Rückspiegel.
»Ich möchte, dass wir sie abholen und mit zu uns nach Hause nehmen.«
»Nach Hause?«
»Ja, klar … Sie ist ganz allein, es ist Heiligabend, und das tut mir weh. Es ist ungerecht …«
Philippe setzte den Blinker und fuhr los. Die Straße war so glatt, dass ihm um ein Haar das Lenkrad entglitten wäre, aber mit sanftem Gegenlenken brachte er die schwere Limousine wieder auf Kurs. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Alexandre fasste dies als Ablehnung auf und ließ nicht locker: »Die Wohnung ist groß … Wir könnten ihr in der Wäschekammer Platz machen, nicht wahr, Annie?«
»Bist du sicher, dass es das ist, was du willst?«, hakte Philippe nach.
»Ja …«
»Wenn du sie mit nach Hause nimmst, bist du für sie verantwortlich. Dann kannst du sie nicht mehr einfach zurück auf die Straße schicken.«
Annie, die neben Philippe saß, schwieg. Sie schaute unverwandt geradeaus in das dichte Schneetreiben und wischte mit dem Rücken ihrer Handschuhe über die Windschutzscheibe, als könnte sie so die dichte Masse wegschieben, die sich draußen festsetzte.
»Sie wird ganz leise sein und Annie keine zusätzliche Arbeit machen, versprochen … Aber ich kann einfach nicht schlafen, wenn ich weiß, dass sie bei diesem Wetter draußen ist … Vertrau mir, Papa, ich kenne sie gut … du wirst es nicht bereuen
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