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Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Titel: Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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… und außerdem«, fügte er wie ein Prediger von der Kanzel herab hinzu, »ist es unmenschlich, jemanden bei dieser Kälte draußen im Freien zu lassen!«
    Philippe lächelte belustigt über die Empörung seines Sohnes.
    »Einverstanden, wir fahren hin!«
    »Oh, danke, Papa! Danke! Du wirst sehen, sie ist eine wunderbare Frau, die sich nie beklagt und …«
    »Ist das der Grund, weshalb du abends immer später nach Hause kommst?«, fragte Philippe und warf seinem Sohn einen verschmitzten Blick zu.
    »Ja. Das hast du gemerkt?«
    »Ich dachte, du hättest eine Freundin …«
    Alexandre antwortete nicht. Annabelle ging nur ihn etwas an. Er war bereit, mit Becca über sie zu reden, aber das war auch schon alles.
    »Weißt du, wo genau das Haus des Intendanten liegt? Der Hyde Park ist groß …«
    »Sie hat es mir einmal gezeigt. Es ist nicht weit von der Royal Albert Hall entfernt, du weißt schon, da, wo du immer ins Konzert gehst.«
    Philippe wurde blass, und sein kurz zuvor noch fröhlicher Blick verdunkelte sich. Entsetzlich traurig, entsetzlich verlassen, spürte er, wie sich seine Kehle zusammenschnürte und sein Mund trocken wurde. Die Scarlatti-Sonaten, Joséphines Kuss, ihre Umarmung in dem alten, nach Wachs und Jahrzehnten riechenden Winkel, ihre heißen Lippen, das freie Stück Haut an ihrer Schulter, in einer köstlichen, schmerzhaften Woge kam alles wieder hoch. Er hatte nicht gewagt, sie heute Abend anzurufen. Er wollte ihren Heiligabend in Paris nicht stören. Vor allem aber wusste er nicht mehr, was er sagen, welchen Ton er ihr gegenüber anschlagen sollte. Er fand keine Worte.
    Er wusste nicht mehr, wie er mit Joséphine umgehen sollte. Er fürchtete sich vor dem Tag, an dem es nichts mehr zu sagen, nichts mehr zu tun gäbe. Er hatte geglaubt, Geduld würde die Trauer lindern, die Erinnerungen verblassen lassen, aber er musste sich eingestehen, dass sich trotz ihrer Begegnung im Theater nichts geändert hatte und sie ihn ins Lager der Verlierer verwies.
    Eine geheime Furcht erfüllte ihn, die er niemals deutlich zu benennen wagte: die Furcht, diese flüchtige, am Fuß einer Treppe gestohlene Umarmung könnte ihre letzte gewesen sein und er müsste sich endlich dazu durchringen, dieses Kapitel abzuschließen.
    Vielleicht ist das das Ende meines alten Lebens und der Beginn eines neuen, dachte er, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Alexandre zuwandte, der ihm den Weg zum Gerätehäuschen des Intendanten der königlichen Gärten wies.
    Sie fanden die Stelle. Ein kleines rotes Backsteinhäuschen gegenüber einem großen roten Backsteinhaus, das hell erleuchtet in der dunklen Nacht erstrahlte. Philippe stellte den Wagen vor einem Tor ab, schob es auf und überließ es Alexandre, an die Tür zu klopfen.
    »Becca! Becca!«, flüsterte Alexandre. »Ich bin’s, Alexandre … Mach auf!«
    Philippe hatte sich zu einem Sprossenfenster vorgebeugt und versuchte, ins Innere des Häuschens zu schauen. Er entdeckte eine brennende Kerze, einen runden Tisch, einen alten Ofen, dessen Glut im Dunkeln rot leuchtete, aber keine Becca.
    »Vielleicht ist sie nicht da«, sagte er.
    »Oder sie hat Angst, entdeckt zu werden, und öffnet deshalb nicht«, entgegnete Alexandre.
    »Du solltest dich am Fenster zeigen und dort klopfen …«
    Alexandre stellte sich vor die Scheibe, klopfte und wiederholte immer lauter Becca, Becca, ich bin’s, Alexandre.
    Sie hörten ein Geräusch im Inneren, dann Schritte, und die Tür wurde geöffnet.
    Es war Becca. Eine kleine Frau mit weißen Haaren, eingehüllt in Schals und Wolltücher. Sie musterte sie beide, dann richtete sich ihr erstaunter Blick auf Alexandre.
    »Hallo, luv , was machst du denn hier?«
    »Ich komme dich abholen. Ich will, dass du zu uns kommst, nach Hause. Das ist mein Vater …«
    Philippe verbeugte sich. Er blinzelte, als er einen langen himmelblauen Kaschmirschal mit beigefarbener Kante erkannte, den er einmal Iris geschenkt hatte, als diese sich beklagte, dass sie in Megève erfriere, und bedauerte, über die Feiertage nicht in Paris geblieben zu sein.
    »Guten Abend, Madam«, sagte er, während er sich verneigte.
    »Guten Abend, Sir«, antwortete Becca und betrachtete ihn, eine Hand an die halb offene Tür gelegt.
    Ihr weißes Haar war sorgfältig gescheitelt und wurde von zwei delfinförmigen Spangen zurückgehalten: einer rosafarbenen und einer blauen.
    »Alexandre hatte eine ausgezeichnete Idee«, fuhr Philippe fort, »er möchte, dass Sie Weihnachten bei uns

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