Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
dabei Gesellschaft. Na ja, ich versuche es zumindest …«
»Und was suchst du, meine Schöne?«, fragte Josiane, als sie Hortenses finstere Miene bemerkte.
»Sie braucht eine Idee. Aber ihr fällt nichts ein. Und deswegen könnte sie der ganzen Welt an die Gurgel gehen, pass lieber auf …«
Hortense wandte den Kopf ab, um nicht zu antworten.
»Wo suchst du denn deine Idee? In den Kastanienbäumen? In den Straßencafés?«
Hortense zuckte mit den Schultern.
»Nein«, erklärte Gary, »sie glaubt, die Idee wird ihr fix und fertig aus den Häuserzeilen entgegenspringen. Sie mustert den Stein, streichelt ihn, zeichnet ihn, lernt ihn auswendig. Vollkommen idiotisch!«
»Aha!«, entgegnete Josiane verwundert. »Eine Idee, die aus dem Stein kommt … Ich verstehe nicht ganz, aber ich bin ja auch nicht besonders klug …«
Komplett beschränkt!, dachte Hortense. Man braucht ja bloß zu sehen, wie sich diese Frau ausstaffiert! Eine billige Hausfrau, die Kitschromane liest und ihre Klamotten in der Abteilung für kräftige Damen kauft …
In diesem Moment ließ Junior seinen speichelgetränkten Keks fallen und verkündete: »Hortense hat recht. Diese Gebäude sind wunderschön … Und inspirierend. Ich betrachte sie jeden Tag, wenn wir in den Park gehen, und ich bekomme davon nie genug. Weil sie einander so ähnlich und gleichzeitig so verschieden sind …«
Hortense hob den Kopf und musterte die Feuerbohne.
»Wow, der Zwerg macht ja erstaunliche Fortschritte … Als wir Weihnachten bei euch zum Essen waren, hat er noch nicht so gesprochen …«
»Das liegt daran, dass ich Baby gespielt habe, um meiner Mutter eine Freude zu machen!«, erklärte Junior. »Sie platzt vor Glück, wenn ich unsinniges Zeug brabbele, und da ich sie mehr liebe als alles auf der Welt, bemühe ich mich, möglichst schwachsinnig zu erscheinen …«
»Ach«, antwortete Hortense fasziniert und ließ das Kind nicht mehr aus den Augen. »Und kennst du viele Wörter, die du vor uns geheim hältst?«
»Eine ganze Menge, gute Frau!«, verkündete Junior laut auflachend. »So kann ich dir zum Beispiel erklären, warum du diese Gebäude aus goldschimmerndem Stein so magst. Wenn du mich nett darum bittest, verrate ich es dir …«
Hortense gehorchte, neugierig auf die Theorie des Zwergs.
»Die Details sind es, die die Schönheit dieser Gebäude ausmachen«, erklärte Junior. »Keine zwei von ihnen sind identisch, und doch sind sie alle gleich. Das Detail war die Signatur des Architekten. Die Gleichförmigkeit konnte er nicht durchbrechen, also flüchtete er sich in Details, um sich auszudrücken. Und diese Details veränderten alles. Sie machten das Gebäude einzigartig. Die Details machen den Stil aus. Intelligenti pauca. Fiat lux. Dixi …« 2
2 »Dem, der versteht, genügen wenige Worte. Es werde Licht. Ich habe gesprochen …«
Hortense ließ sich neben dem Buggy auf den Boden fallen. Küsste die Mokassins des Kindes. Drückte seine Hand. Sprang wieder auf die Füße. Küsste Gary. Küsste Josiane. Wollte den Himmel küssen, und als sie ihn nicht erreichte, setzte sie zu einem Freudentanz an und skandierte dazu: »Ein stolzer Wal mit grau-grau-grauem Bauch, grau-grau-grauem Bauch, grau-grau-grauem Bauch, mit hübschen Zähnen, weiß und regenfrisch, weiß und regenfrisch, weiß und regenfrisch.«
»Danke, Krümelchen! Danke! Du hast meine Idee gefunden! Du bist ein Genie!«
Junior gluckste vor Freude.
Er streckte die Beine aus, streckte die Arme aus, reckte seine Lippen der Frau entgegen, die ihn zu ihrem Märchenprinzen, ihrem weisen Prinzen, ihrem wundervollen Prinzen gemacht hatte.
Er war nicht länger der Zwerg, er war zum Krümelchen befördert worden.
»Was versteckst du denn da unter deinem Mantel?«, fragte Shirley Joséphine. »Das sieht aus wie ein dicker Höcker … sehr merkwürdig. Man könnte fast meinen, du wärst schwanger, aber nur auf einer Seite!«
Sie saßen in der Métro und waren unterwegs zu einem Schaufensterbummel im Village Suisse. In den Antiquitätenläden Möbel anschauen, über das Champ de Mars schlendern, die Touristen auslachen, die sich am Fuß des Eiffelturms drängten, die Japaner, Chinesen, Amerikaner, Engländer, Mexikaner und Papuas zählen, den Kopf heben und die Aussicht in Richtung Trocadéro bewundern, dann gemächlich durch die Rue de Passy zurückkommen und dabei die Schaufenster betrachten, das war das Ziel des Spaziergangs, den sie an diesem 31. Dezember unternahmen.
Um das Jahr in
Weitere Kostenlose Bücher