Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
… Ich merke doch, dass du mir nicht zuhörst …«
»Ich habe keine Lust zu reden …«
»Du kannst doch nicht ewig so weitermachen. Dich einmauern …«
»Shirley …«
»Ich weiß, was dir durch den Kopf geht und dich nicht frei atmen lässt … Ich weiß es! Aber es ist nicht deine Schuld, Jo …«
»…«
»Und es ist auch nicht seine Schuld … Du kannst nichts dafür, und er kann nichts dafür. Warum weigerst du dich, das einzusehen? Warum reagierst du nicht auf seine Nachrichten?«
… weil
»Er hat gesagt, er würde warten, aber er wird nicht sein ganzes Leben lang warten, Jo! Du tust dir weh, du tust ihm weh, und wozu das alles? Ihr beide habt sie doch nicht …«
Und da fand Joséphine die Stimme wieder. Als hätte man ihr einen Luftröhrenschnitt verpasst, ihr die Kehle geöffnet, ihre Stimmbänder freigelegt, damit sie endlich schrie, und sie schrie, schrie ins Telefon, schrie ihre Freundin an, die sie jeden Tag anrief, die sagte, ich bin da, ich bin immer für dich da: »Mach schon, Shirley, los, raus damit, sag es …«
»Verdammt, Jo! Du kotzt mich an! Das bringt sie doch auch nicht wieder zurück! Also warum? Warum?«
… weil
Und solange sie auf dieses Wort keine Antwort fand, würde sie ihr Leben nicht wiederaufnehmen können. Sie würde reglos bleiben, starr und stumm, sie würde nie wieder lächeln, vor Freude und Lust schreien, sich in seine Arme fallen lassen.
In die Arme von Philippe Dupin. Dem Mann von Iris Dupin. Ihrer Schwester.
Dem Mann, zu dem sie nachts sprach, den Mund tief in ihr Kopfkissen vergraben.
Dem Mann, dessen Arme sie um sich zeichnete …
Dem Mann, den sie vergessen musste.
Sie war tot.
Iris hatte sie mitgerissen in ihren langsamen Walzer im Scheinwerferlicht, in das Messer mit der blanken Klinge. Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei, komm mit mir, Jo, wir gehen fort … Du wirst sehen, es ist ganz leicht!
Ein neues Spiel, das Iris sich ausgedacht hatte. Wie damals, als sie noch klein waren.
Knick und Knock knackten den knurrigen Knuck, eh der sie knacken konnte …
Aber an jenem Tag auf der Lichtung hatte der knurrige Knuck gesiegt.
Er hatte Iris geknackt.
Er würde auch Joséphine knacken.
Denn Joséphine ging immer mit Iris mit.
»Das ist es doch, Jo«, bedrängte sie Shirley am Telefon, »das ist es, du willst ihr folgen … Du ziehst das Mindestprogramm durch, bist für Zoé und Hortense da, zahlst ihre Ausbildung, führst das Leben einer guten, anständigen Mutter und wirst dir alles andere versagen! Du hast nicht das Recht, eine Frau zu sein, weil die Frau fort ist … Du verbietest es dir! Aber ich bin deine Freundin, und ich finde das nicht richtig, also werde ich dir …«
Joséphine legte auf.
Shirley rief wieder an, und es waren immer die gleichen Worte, die aus ihrem wütenden Mund drangen. Ich verstehe das nicht, gleich nach Iris’ Tod, da hast du mit ihm geschlafen, er war für dich da, du warst für ihn da. Und? Antworte mir, Jo, antworte mir!
Joséphine ließ den Hörer fallen, schloss die Augen, vergrub den Kopf zwischen den Ellbogen. Nicht an diese Zeit zurückdenken, vergessen, vergessen … Die Stimme im Telefon hallte wie der wütende Tanz eines kleinen Kobolds.
»Du lässt dich einsperren … stimmt’s? Aber wodurch? Wodurch, Jo? Verdammt! Du hast nicht das Recht …«
Joséphine warf das Telefon gegen die Wand.
Sie wollte diese glücklichen Tage vergessen.
Diese Tage, in denen sie sich ihm hingegeben hatte, in ihm versunken war, sich in ihm vergessen hatte.
In denen sie sich an das Glück geklammert hatte, unter seiner Haut, in seinem Mund zu sein.
Wenn sie daran zurückdachte, legte sie die Finger auf ihre Lippen und flüsterte, Philippe … Philippe …
Doch das würde sie Shirley nicht erzählen.
Das würde sie niemandem erzählen.
Nur Du Guesclin wusste davon.
Du Guesclin, der keine Fragen stellte.
Du Guesclin, der sie seufzend ansah, wenn sie zu traurig wurde, wenn sie den Blick zu tief senkte, wenn der Schmerz sie überwältigte.
Er drehte sich im Kreis, und ein lang gezogenes Stöhnen, das sich zu einem Jaulen wandelte, drang aus seinem Maul. Er schüttelte den Kopf, er wollte sie nicht in diesem Zustand sehen …
Er holte seine Leine, die Leine, die sie ihm niemals anlegte, die neben den Schlüsseln in dem Korb im Flur vor sich hin rostete, ließ sie vor ihre Füße fallen und schien zu sagen, komm, wir gehen raus, das bringt dich auf andere Gedanken …
Sie ließ sich von diesem hässlichen Hund
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