Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Titel: Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
Vom Netzwerk:
verstecken. Mein Herz wird heftig klopfen. Im Dunkeln werde ich weniger Angst haben. Weniger Angst davor, rot zu werden oder verschwitzte Haare zu haben … Man kann sich noch so sehr einreden, man sei geheilt, man sei tapfer, man findet sich doch trotzdem immer ein bisschen unbeholfen … Er wird die Haustür öffnen, er wird zögernd die Stufen herunterkommen – er hat immer noch nicht begriffen, dass es wirklich wahr ist. Joséphine?, wird er fragen, Joséphine?, und ich werde langsam auf ihn zugehen. Ich werde auf ihn zugehen wie im Abspann eines Films. Er wird mich in die Arme nehmen, mich verrückt nennen, und er wird mich küssen … Ein warmer, langer, ruhiger Kuss, ein Wiedersehenskuss. Ich weiß es … Ich habe ihn nicht verloren, Papa, ich habe ihn wiedergefunden. Und ich werde nach London fahren … Ich bin mir jetzt ganz sicher. Es ist immer gut, etwas zu haben, was man sich vorstellen kann, was man mit klopfendem Herzen herbeisehnt. Es stimmt, dass einen dieses Etwas manchmal zu hoch hinaufträgt und man dann auf die Nase fällt … aber ich glaube ganz fest daran, dass er mich auf der obersten Stufe erwartet …«
    Sie warf eine Kusshand in die Nacht, schlang die Arme um ihre Schultern, wiegte sich auf dem harten Balkonboden hin und her, suchte nach dem feinen Riss im Belag, kratzte mit dem Finger daran, und das beruhigte sie.
    Der kleine Stern am Ende der Deichsel funkelte schwach. Er würde verschwinden. Sie beeilte sich, zu sagen, was sie noch auf dem Herzen hatte: »Aber vorher … vorher muss ich noch mit dem Kleinen Mann sprechen. Er ist alt geworden … Oh, nicht so alt … aber alt im Kopf, weil er aufgegeben hat. Er hat den Funken verlöschen lassen, der sein Leben entflammt hätte … Ich möchte, dass er mir erklärt, warum. Ich möchte verstehen, wie man sein Leben lang seinen Traum verdrängen kann, ohne jemals auch nur zu versuchen, ihn zu verwirklichen.«
    »Dabei hättest du selbst doch um ein Haar genau das Gleiche getan«, sagte ihr Vater seufzend.
    »Ich will, dass er mir davon erzählt … mit seinen eigenen Worten. Er soll wissen, dass er diese Geschichte nicht umsonst erlebt hat, dass sie mich aus den Fluten des Atlantiks gerettet hat und dass sie auch noch andere Menschen retten kann. Menschen, die Angst haben, die nichts wagen, Menschen, denen man tagein, tagaus einredet, es sei sinnlos, zu hoffen. Denn das ist es doch, was man uns einredet, nicht wahr? Menschen, die träumen, werden verspottet, sie werden ausgeschimpft, an geprangert, man stößt sie mit der Nase auf die Realität, man sagt ihnen, das Leben sei hässlich, es sei traurig, es gebe keine Zukunft, keinen Platz für Hoffnung. Und man versetzt ihnen einen Schlag auf den Kopf, um sicherzugehen, dass sie die Lektion auch lernen. Man erfindet Bedürfnisse für sie, die sie gar nicht haben, und zieht ihnen alles Geld aus der Tasche. Man hält sie gefangen. Man sperrt sie ein. Man verbietet ihnen zu träumen. Zu wachsen, sich wieder aufzurichten … Und doch … Und doch … Ohne Träume sind wir bloß armselige Menschengestalten mit kraftlosen Armen, ziellos umherrennenden Beinen, einem nach Luft schnappenden Mund und leeren Augen. Träume sind es, die uns Gott und den Sternen näher bringen, die uns größer, schöner, einzigartig machen … Ein Mensch ohne Träume ist klein. So klein und so nutzlos … Es tut weh, einen Menschen zu sehen, der nur den Alltag, die Realität des Alltäglichen kennt. Er gleicht einem Baum ohne Blätter. Man muss den Bäumen Blätter geben. Ihnen unzählige Blätter ankleben, damit ein großer und schöner Baum daraus wird. Und sei’s drum, wenn ein paar Blätter abfallen, dann klebt man eben wieder neue an. Wieder und wieder, ohne sich entmutigen zu lassen … Denn im Traum atmen die Seelen. Im Traum entfaltet sich die Größe des Menschen. Heutzutage atmen die Menschen doch nicht mehr, sie ersticken. Sie haben die Träume aus ihrem Leben gestrichen, genau wie die Seele und Gott …«
    Das war nicht mehr sie selbst, die da sprach, sondern ihr Vater. Er gab ihr die Worte ein, gab ihr Anlass zu glauben, zu hoffen, ermunterte sie, den Bäumen Blätter zu geben.
    Pasolini hatte recht. Die Toten sprechen die ganze Zeit zu uns, wir nehmen uns bloß nicht die Zeit, ihnen zuzuhören …
    Sie stand vor der Tür von Monsieur und Madame Boisson. Eine große, tannengrüne Tür mit zwei schönen Knäufen aus vergoldetem Kupfer. Ein länglicher Fußabstreifer mit grüner Kante. Sie würde klingeln. An

Weitere Kostenlose Bücher