Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Baby ist etwas Wunderbares …«
»Finden Sie? Mich hat das niemals berührt … Furchtbar, nicht wahr? Aber so war es nun mal … Ich empfand nichts. Für niemanden. Ich weiß nicht, was Sie aus dem machen wollen, was ich Ihnen erzähle. Ich bin wirklich keine interessante Figur. Sie werden eine Menge Talent brauchen …«
Es wurde Zeit zu gehen. Seine Frau würde bald zurückkommen …
Er schaute auf die Uhr. Joséphine stand auf. Verstaute den Schreibblock und ihren Stift. Brachte das Tablett zurück in die Küche. Spülte die Gläser, trocknete sie ab und räumte die Flaschen weg, damit seine Frau nichts bemerkte.
Er sah ihr dabei zu und atmete ruhig. Sagte, mir ist schwindlig, ich glaube, ich ruhe mich ein wenig aus …
Leise schloss sie die Tür hinter sich und ließ ihn mit seinen Erinnerungen allein, die immer weiterliefen wie eine alte Kamera, die einen Film auf ein weißes Laken projizierte.
Sie kam ein andermal wieder, und sie setzten ihr Gespräch fort. Er wusste immer, wo er beim letzten Mal stehen geblieben war. Was seine Gefühle anging, so verfügte er über ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Als hätte er sie in Ordnern abgeheftet und hole sie nun wieder hervor. Er musste sein Leben damit verbracht haben, sich zu erinnern.
Sie kam wieder, aber sie verspürte immer weniger Lust, sich ihm in dem trostlosen Wohnzimmer gegenüberzusetzen. Sie nahm ihren Block und ihren Stift heraus und machte sich nur wenig Notizen. Er trank seinen »kleinen Gelben«, und manchmal holte er auch eine Zigarette hervor. Eine Camel.
»Monsieur Boisson! Sie sollten nicht rauchen!«
»Was macht das denn jetzt noch für einen Unterschied …«
Er nahm eine lange Zigarettenspitze und ein vergoldetes Feuerzeug, zündete die Zigarette an und stieß einen wohligen Seufzer aus. Gefolgt von einem Hustenanfall.
»Sehen Sie, das tut Ihnen nicht gut …«
»Das ist das einzige Vergnügen, das mir noch bleibt«, sagte er und wirkte dabei wie ein verärgerter Buchhalter. »Habe ich Ihnen schon erzählt, wie Cary LSD genommen hat?«
»Nein!«
»… Im Rahmen einer Psychotherapie. Er wollte an seiner Kindheit arbeiten, an der Beziehung zu seinen Eltern und ihren Auswirkungen auf seine zahlreichen Ehen. Er glaubte, die Halluzinationen, die durch diese Droge ausgelöst werden, könnten ihm dabei helfen, schmerzhafte Erinnerungen wieder hervorzuholen und auszutreiben. Das galt damals als eine hervorragende Methode und war erlaubt. Vor ihm hatten es schon so berühmte Zeitgenossen wie Aldous Huxley und Anaïs Nin ausprobiert. Er versicherte, bei ihm habe es wahre Wunder gewirkt, es sei wie eine Wiedergeburt gewesen. Während dieser eigenartigen Sitzungen hatte er gelernt, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen, nicht anderen die Schuld dafür zuzuschieben, er hatte Dinge über sich erfahren, die er sich unter anderen Umständen niemals eingestanden hätte … Er behauptete, der Blick ins eigene Innere erfordere Mut, es sei ein konstituierender Akt. Er hatte vor nichts Angst …«
Leiser Neid schwang in seinem Tonfall mit. Es klang wie: Dieser Glückspilz. Im Gegensatz zu mir hatte er nie Angst.
Genau das ist es, was mich an ihm stört, dachte Joséphine und drückte die Spitze ihres Stifts fest auf das Papier.
Der leicht verbitterte Ton in diesem Halbsatz, der Ton eines Mannes, der einen anderen um seine Freiheit beneidet und ihm, statt seinem Beispiel zu folgen, deswegen grollt. Aus seinen Worten klangen weder Großzügigkeit noch Bewunderung heraus. In seinem tiefsten Inneren verurteilte Monsieur Boisson die Verwendung von LSD , er verurteilte die fünf Ehen, die engen Freundschaften mit Männern. Er verurteilte alles Rätselhafte an Cary Grant.
Weil Cary Grant sich ihm entzogen hatte.
Weil er ihm vor dem Tor seines Anwesens in Los Angeles einen anderen Kleinen Mann vorgezogen hatte.
An diesem Tag war Monsieur Boisson zu einem verbitterten Menschen geworden.
Er sagte es nicht, aber er verriet sich trotzdem. Durch einen Tonfall, einen Gedankenfetzen, eine unterdrückte Klage.
»Es ist klüger, ein winziges Licht anzuzünden, als sich über die Dunkelheit zu beklagen«, fiel Joséphine ein Satz von Laotse ein. Monsieur Boisson hatte nie ein kleines Licht angezündet … Sein Leben war ohne Licht und Wärme verstrichen. Und die Schuld dafür suchte er in seiner Kindheit, in seiner Erziehung, bei seinen Eltern. Niemals bei seiner eigenen Feigheit.
Mehr Großherzigkeit, mehr Einsicht, weniger Selbstmitleid wären
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