Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Vergangenheit zurückkehrte und sie auf ihrem Wohnzimmerstuhl vergaß. Dann schloss er die Augen und war wieder im Filmstudio, in Cary Grants Hotelsuite, auf dem Balkon, von dem aus sie auf Paris hinunterschauten. Sie wartete einen Moment, dann brachte sie ihn mit sanfter Stimme wieder zum Reden:
»Erzählte er Ihnen von seiner Heimat, von seinen Zeitgenossen, von Regisseuren, anderen Schauspielern oder Schauspielerinnen?«
Nicht immer antwortete er auf ihre Fragen. Er verharrte in seinem Traum und sprach zu sich selbst.
»Manchmal, wenn ich nach einer Begegnung mit ihm abends nach Hause kam, war ich vor Glück so benommen, dass ich nicht mehr die Kraft aufbrachte, in mein kleines schwarzes Heft zu schreiben … Und ich schrieb auch nur hinein, was mit mir zu tun hatte. Alles andere war mir gleichgültig. Ich glaube, ich war eifersüchtig auf alles, was ihn umgab. Ich schämte mich dafür, so linkisch zu sein. Ich erinnere mich an einen Abend, das habe ich nicht aufgeschrieben, da hat er mich zu einer Party mitgenommen. Möchtest du die Leute aus der Filmbranche kennenlernen?, hatte er mich lächelnd gefragt. Na, dann komm, ich zeige sie dir … Und plötzlich stand ich in einer großen Wohnung in der Rue de Rivoli. Einer sehr großen, sehr weißen Wohnung, deren Wände mit Gemälden und Kunstbüchern bedeckt waren. Ich war der einzige Jüngere. Die Leute sprachen Englisch. Sie waren sehr gut gekleidet, die Frauen trugen Cocktailkleider, die Männer Krawatte, Weste und Lackschuhe. Sie tranken viel und lachten laut. Sie redeten über die Liebe wie über ein höchst bedeutsames philosophisches Thema und wiederholten ununterbrochen Sex, Sex, Sex. Sie spotteten über bürgerliche Konventionen, über diese absurden Besitzansprüche, die sich entwickelten, sobald man jemanden liebt, und ich fühlte mich angesprochen. Es war, als brüllten sie mir ins Gesicht, wie dumm und naiv ich doch sei. Ich beobachtete sie. Sie tranken, rauchten, sprachen über Maler, die ich nicht kannte, über Jazzplatten, über Theaterstücke. Eine der Frauen lachte jedes Mal, wenn ich etwas sagte. Sie hatte mich mit Cary hereinkommen sehen und mich auf Anhieb reizend gefunden. Sie hieß Magali und sagte, sie sei Schauspielerin. Eine Brünette mit halblangem Haar, zwei dicken, langen schwarzen Eyelinerstrichen und einem grünen Paillettenpullover. Sie erzählte von Paris, Rom und New York, sie schien viel herumgekommen zu sein. Sie kannte jede Menge Leute im Filmgeschäft und bot mir an, mir zu helfen, wenn ich ein weiteres Praktikum machen wolle … Ich sagte, ja, ja, ich wünschte mir, zu sein wie sie, so unbefangen und weltgewandt. Sie gab mir das Gefühl, dass sie sich wirklich für mich interessierte, und ich fühlte mich sehr interessant. Geschafft, dachte ich! Ich bin wie diese Leute, ich gehöre zu ihrer Welt. Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich stellte mir eine leuchtende Zukunft in ihrer Mitte vor. Eine Zukunft, in der ich auch eigenwillig und selbstsicher auftreten könnte. In der ich auch eine unumstößliche Meinung zu allem und jedem haben würde … Und dann … betrat ein Mann die große, weiße Wohnung, und alle Blicke richteten sich auf ihn. Cary hat mir später erzählt, dass es ein Filmproduzent gewesen sei, ein ziemlich wichtiger Typ, was er sagte, war in Hollywood Gesetz. Alle haben sich um ihn gedrängt. Niemand redete mehr mit mir. Sie liefen an mir vorbei, rempelten mich an, ohne sich zu entschuldigen, ohne mir in die Augen zu sehen. Ich war wieder unsichtbar geworden. Und da habe ich mich gefragt, was mache ich eigentlich hier? Ein dicker, bärtiger Mann hat sich neben mich gesetzt, er hat mich gefragt, wie alt ich sei, was ich studiere, wo ich mich in zehn Jahren sähe. Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten, da war er auch schon wieder weg, um sich etwas zu trinken zu holen. Zehn Minuten später kam er wieder und fragte mich erneut, wie alt ich sei, was ich studiere und wo ich mich in zehn Jahren sähe … Kurzum, ich war es mehr und mehr leid. Ich habe Cary nichts gesagt, ich habe einfach nur meinen Mantel genommen und bin gegangen. Ich musste zu Fuß nach Hause gehen, die letzte Métro war schon weg … Dieser Abend war fürchterlich. An diesem Abend habe ich begriffen, dass ich niemals zu seiner Welt gehören würde. Wir haben danach nie wieder darüber geredet, und er hat mich nie mehr zu einer Party mitgenommen … Aber mir war es ohnehin lieber, wenn wir allein waren. In seiner Gegenwart fühlte ich mich nie
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