Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
nur für einen Cent Verstand hast, gehst du ihnen besser aus dem Weg …«
»Aber geteiltes Leid ist halbes Leid …«, protestierte Zoé und dachte an Monsieur Sandoz, den erloschenen Kamin.
Iphigénie stand auf, hob einen Lippenstift und ein paar Bonbons auf, die ihr aus der Tasche gefallen waren, und ging mit ihrem leisen Trompetenschnauben hinaus. Verliebt, murmelte sie dabei vor sich hin, verliebt, als ob das die Lösung wäre!
Joséphine und Zoé hörten, wie die Tür hinter ihr zufiel.
»Jetzt spielst du ja schon wieder die Gute Samariterin«, bemerkte Zoé lächelnd.
»Die Gute Samariterin ist todmüde und wird sich morgen mit dem Problem befassen. Wann musst du aufstehen?«
Josiane betrat das Wohnzimmer, in dem sich ihr Sohn Junior aufhielt. Sie kam gerade von Monoprix zurück und zog einen Einkaufstrolley voll frischem Obst, glänzenden Fischen, chlorophyllgrünem Gemüse, einer Milchlammkeule, mehreren Rollen Küchenkrepp, Putzmitteln sowie Mineralwasser- und Orangensaftflaschen hinter sich her.
Sie blieb abrupt stehen und starrte ihren Sohn verzweifelt an. Er saß in einem Sessel und hatte ein Buch auf dem Schoß. Angezogen wie ein englischer Collegestudent, graue Flanellhose, marineblauer Blazer, weißes Hemd, grün-blau gestreifte Krawatte, schwarze Sportschuhe. Ein kleiner Herr. Er las und hob kaum den Blick, als sie eintrat.
»Junior …«
»Ja, Mutter …«
»Wo ist Gladys?«
Gladys war die neueste Haushaltshilfe, die sie eingestellt hatten. Eine junge Frau aus Mauritius, schlank und groß gewachsen, die mit dem Staubtuch über die Möbel fuhr und dabei ihre Hüften im Takt der CD wiegte, die sie in die Stereoanlage geschoben hatte. Eine langsames, unbekümmertes Dienstmädchen, das den Vorzug hatte, Kinder zu lieben. Und Gott. Sie hatte begonnen, Junior aus der Bibel vorzulesen, und klopfte ihm jedes Mal auf die Finger, wenn er vom kleinen Jesuskind sprach. Man sagt Großer Jesus! Jesus ist groß, Jesus ist Gott, Jesus ist dein Gott, und du musst ihn jeden Tag preisen. Halleluja! Gott ist unser Hirte, er führt uns auf die grünen Auen der Glückseligkeit. Junior war fasziniert von Gladys’ Worten, und Josiane war erleichtert, dass sie endlich ein Kindermädchen gefunden hatte, das er zu akzeptieren schien.
»Weg …«
»Wie ›weg‹? Weg einkaufen, weg einen Brief einwerfen, weg Legosteine kaufen …?«
Bei dem Wort »Legosteine« zuckte Junior mit den Achseln.
»Für wen sollte sie denn Legosteine kaufen? Spielst du in deinem Alter noch mit so etwas?«
» JUNIOR !«, brüllte Josiane los. »Schluss damit! Hast du verstanden, Schluss mit diesem … diesem …«
»Spott. Ja, du hast recht, Mutter, ich habe es dir gegenüber am nötigen Respekt mangeln lassen … Ich bitte dich, mir zu verzeihen.«
» UND HÖR GEFÄLLIGST AUF , MICH MUTTER ZU NENNEN ! Ich bin deine Mama, nicht deine Mutter …«
Er hatte sich schon wieder seinem Buch zugewandt, und Josiane ließ sich ihm gegenüber auf einen schwarzen Lederpuff fallen. Sie schwang die gefalteten Hände wie ein Weihrauchschiffchen, während sie zu begreifen versuchte. Mein Gott! Mein Gott! Was habe ich dir bloß getan, dass du mir diesen … diesen … Sie fand kein passendes Wort, um Junior zu beschreiben. Sie riss sich zusammen und fragte: »Wohin ist Gladys denn gegangen?«
»Sie hat gekündigt. Sie erträgt mich nicht mehr. Sie behauptet, sie könne nicht gleichzeitig putzen und mir La Bruyères Charaktere vorlesen. Außerdem behauptet sie, es sei das Buch eines Toten, einer Leiche, und die Toten dürfe man nicht stören, und wir sind über dieses Thema heftig aneinandergeraten.«
»Sie hat gekündigt …«, wiederholte Josiane und sackte auf ihrem Puff zusammen. »Das ist doch nicht möglich, Junior! Die sechste innerhalb von sechs Monaten!«
»Eine runde Zahl. Bemerkenswert. Wir haben also monatlich neue Angestellte.«
»Was hast du nur gemacht? Sie schien sich doch an dich gewöhnt zu haben …«
»Es ist der alte La Bruyère, der sie nervt. Sie behauptet, sie verstehe kein Wort, das sei doch kein Französisch, was er da schreibe. Und die wimmelnden Würmer aus seinem Leichnam kämen, um uns zu narren. Sie hat mich aufgefordert, wieder auf die Erde herunterzukommen, in meine Zeit, also wollte ich ihr eine Freude machen und sie beschäftigen und habe ihr vorgeschlagen, ein Paar Mokassins in meiner Größe aufzutreiben, weil diese Klettschuhe einen derart scheußlichen Kontrast zu meiner übrigen Kleidung bilden. Sie hat
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