Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
sie mit ihm spazieren gehen, ihn vorzeigen, ihm die Nase putzen, ihn verhätscheln würde, und in der übrigen Zeit würde sie ihn all die Bücher, Geschichtsbände und Mathematikabhandlungen studieren lassen, die er wollte. Im Grunde war es ja gar nicht so schwer, es genügte, dass jeder von ihnen ein paar Zugeständnisse machte.
Sie malte sich ausgedehnte Nachmittage aus, während derer ihre Einsamkeit nur noch ferne Erinnerung wäre, während derer die beiden kleinen Jungen miteinander plapperten und sie selbst in trauter Unterhaltung mit ihrer neuen Freundin dasaß. Und wer weiß, geriet sie immer mehr in Begeisterung, vielleicht können wir uns sogar gegenseitig zum Essen einladen. Zu viert ausgehen. Ins Theater, ins Kino. Vielleicht sogar zusammen Canasta spielen. Dann hätten wir neue Freunde. Davon haben Marcel und ich ja nicht gerade viele. Er arbeitet die ganze Zeit. Und das in seinem Alter! Er sollte sich langsam mal ein bisschen schonen … Fast neunundsechzig ist er! Wie unvernünftig, in dem Alter noch zu schuften wie ein Galeerensträfling, ohne sich jemals zu entspannen.
Junior hatte den Vorschlag von Émiles Mutter gehört. Er erstarrte in einer wenig vorteilhaften Haltung, den Hintern nach hinten weggestreckt, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Beim Gedanken an die langen, qualvollen Stunden, die ihm drohten, lief sein Gesicht knallrot an, und er harrte der Antwort seiner Mutter, ohne auch nur eine Sekunde daran zu zweifeln, dass sie negativ ausfallen würde. Auf keinen Fall wollte er Zeit mit diesem Schwachkopf in seinen unförmigen Windeln verbringen, der bei jedem zweiten Versuch, auf den Ball zu zielen, hinfiel. So stand er da, leicht schwankend, mit zornrotem Gesicht, und ignorierte den Zwerg, der fest entschlossen war, den Ball zu ihm zurückzuschießen und stolpernd Anlauf nahm, um den Ballwechsel fortzusetzen. Als seine Mutter Ja antwortete, das wäre wunderbar, die beiden verstehen sich so gut, versetzte er dem Ball einen derartigen Tritt, dass er dem armen Émile mit voller Wucht an den Kopf knallte und dieser auf der Stelle umkippte.
Die Mutter sprang schreiend auf, nahm das Kind in ihre Arme, verfluchte Junior, beschimpfte ihn als Verbrecher, als hinterhältigen Perversen, als Mörder, als kleinen Nazi in kurzen Hosen und floh mit ihrem immer noch reglosen Émile vor dessen Henker.
An jenem Tag sammelte Josiane den Ball, die Giraffe auf Rädchen, die Packung Schokoladenkekse und das Fläschchen mit Orangensaft ein und verließ den Park mit einem letzten Blick auf den grünen Rasen, auf den kleinen steinernen Tempel, auf den Rotahorn und auf die weißen Wege, als nähme sie Abschied von einem verlorenen Paradies.
Sie sprach kein Wort mit ihrem Sohn und schritt aus wie eine gekränkte Königin.
Junior stapfte ihr wütend voraus und schimpfte vor sich hin, dass man auch wirklich niemandem vertrauen könne, dass er sich zu dieser Maskerade nur bereit erklärt habe, um seiner Mutter eine Freude zu machen, aber dass er auf keinen Fall einwilligen könne, ganze Nachmittage in Gesellschaft eines ungebildeten, aufdringlichen Schwachkopfs zu verbringen, der nicht einmal gemerkt habe, dass er störte. Ein gewitzterer Junge hätte erkannt, dass er nur dort war, um dem Schein Genüge zu tun. Er hätte nicht darauf beharrt, mit ihm zu spielen. Er hätte von sich aus von dem Ball abgelassen, damit Junior weiter seine köstliche Einsamkeit genießen konnte. Ich weiß, dass die Welt von Idioten bevölkert ist, seufzte Junior, und mit dieser schmerzlichen Tatsache muss man sich abfinden, aber dieser Émile ist einfach unerträglich. Warum findet sie kein Mathegenie oder keinen Raketenkonstrukteur für mich? Dann würde ich etwas über Quadratwurzeln und die Zentrifugalkraft lernen. Das alles habe ich ja früher schon einmal gewusst, ich muss nur meine Erinnerungen ein wenig auffrischen.
Sie waren schon fast zu Hause und schlugen gerade einen Bogen um den Zeitungskiosk, als Junior in der Auslage einen Kompass entdeckte, der zusammen mit einer Zeitschrift eingeschweißt war. Er blieb stehen und begann vor Freude zu sabbern. Ein Kompass! Er hätte nicht sagen können, wieso, aber dieser Gegenstand kam ihm vertraut vor. Wo hatte er schon einmal einen Kompass gesehen? In einem Bilderbuch? Auf dem Schreibtisch seines Vaters? Oder in seinem früheren Leben …
Er deutete mit dem Finger auf die Zeitschrift, die in ihrer Hülle den kostbaren Gegenstand barg, und befahl: »Das will ich haben!«
Josiane
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