Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
jeden Abend vor, ist doch klar, dass das auf mich abfärbt … Ich verstehe den Kleinen, er ist ein Nimmersatt, er ist neugierig, er will lernen und sich nicht langweilen, wenn man mit ihm redet. Ständig muss man ihm etwas beibringen. Eine einfache Maman genügt ihm nicht, er will Pico della Mirandola.«
»Wer ist das schon wieder? Ein Freund von dir?«
Marcel lachte laut auf und zerquetschte sie fast in seinen Armen.
»Hör auf, dir das Hirn zu zermartern, mein Täubchen. Wir drei sind doch so glücklich zusammen, mit deinen ganzen Fragen beschwörst du nur Unheil herauf …«
Josiane murrte ein paar unverständliche Worte, und Marcel nutzte die Gelegenheit, eine Hand auf ihre Brust zu schieben.
»Findest du nicht, dass er ziemlich rot im Gesicht ist?«, setzte Josiane erneut an und rückte von ihm weg. »Man könnte meinen, er wäre ständig wütend … Er ist rot vor Wut. Er macht mir Angst … Außerdem habe ich Angst, ihm bald nicht mehr folgen zu können, ich habe Angst davor, dass er mich irgendwann verachtet. Ich war an keiner Eliteuni!«
»Aber das ist Junior doch egal, über so was steht er drüber! Weißt du, was wir machen, Choupette? Wir engagieren einen Hauslehrer für ihn. Dieser Junge braucht kein Kindermädchen, er will mit frischem Wissen gefüttert werden, er will lernen, wie die Erdoberfläche aussieht, ihm muss man Griechisch und Latein beibringen, warum die Erde rund ist, warum sie sich dreht und warum sie in den Weiten des Universums nicht durchdreht. Er will, dass man ihm zeigt, wie man mit Zirkel und Lineal umgeht, dass man ihm den Dreisatz und die Quadratwurzeln erklärt …«
»Und warum heißt das überhaupt Quadratwurzel? Es sind weder Quadrate noch Wurzeln! Nein, mein dickes Bärchen, mit einem Hauslehrer werde ich mich noch einsamer fühlen. Noch ahnungsloser …«
»Nicht doch! Du wirst auch wundervolle neue Dinge lernen … Du wirst mit im Unterricht sitzen, vor Überraschung Ah und Oh rufen und ganz große Augen machen, weil das alles so schön ist und so weite Horizonte in deinem Kopf öffnen wird.«
»Mein armer Kopf!«, seufzte Josiane. »Er ist so mickrig eingerichtet. Mir hat nie jemand etwas beigebracht. Soll ich dir was sagen, mein Dickerchen? Die größte Ungerechtigkeit auf der Welt ist, dass man dieses wunderbare Wissen nicht gleich bei der Geburt aufgesaugt hat.«
»Das holst du alles auf! Und danach bist du diejenige, die herablassend mit mir redet, die ›armer Trottel‹ und ›ungebildeter Schluffkopf!‹ zu mir sagt, und ich werde jeden Abend bescheiden meine Lektionen noch mal durchgehen müssen. Glaub mir, meine Schöne, du bist nicht dümmer als dein Sohn, und dieses Kind hat uns der Himmel geschickt, um uns besser zu machen … Er ist anders. Na und? Dann soll er anders sein! Ist mir egal. Er ist mein Sohn! Und wenn er drei Beine und nur ein einziges Auge hätte, wäre er immer noch mein Sohn. Was hättest du denn lieber? Ein Kind, das in den Augen der anderen als normal gilt? Diese Norm hängt einem doch zum Hals raus! Sie erzeugt kleine Quadratesel, die nur noch nachplappern und nicht mehr selbst denken können. Dieser Norm gehört der Arsch versohlt, sie gehört in die Luft gejagt, umgestürzt! Zum Teufel mit all den Müttern, die normale Bälger mit sich herumschleppen! Sie wissen gar nicht, welchen Schatz wir hier haben, sie können es nicht wissen, sie tragen Scheuklappen. Wir hingegen … Welch laues Lüftchen! Welche Seligkeit! Welch himmlische Überraschung zu jeder Tageszeit! Na komm, rutsch her zu mir, mein Kullerchen, hör auf, dir das Hirn zu zermartern, ich versetze dich in einen Rausch, ich lass dich in den Himmel aufsteigen, mein Püppchen, mein Schnuckelchen, meine wundervolle Schönheit, meine Frau, mein Dach, meine Quadratwurzel, meine sinnliche Madame Pompadour …«
Und mit jedem Wort entspannte sich Choupette mehr, ihre Sorgenfalten glätteten sich, sie kicherte, ließ sich von ihrem rothaarigen Riesen umfangen, und unter wollüstigem, auf- und abschwellendem Stöhnen erklommen sie gemeinsam die hohe Leiter der Leidenschaft.
Als sie am nächsten Morgen beim Frühstück saßen, erhielten sie einen Anruf von Henriettes Anwalt. Henriette Grobz, verwitwete Plissonnier, Mutter von Iris und Joséphine Plissonnier, in zweiter Ehe verheiratet mit Monsieur Marcel Grobz, war bereit, die Scheidungspapiere zu unterschreiben. Sie beugte sich Marcels Argumenten und stellte nur eine einzige Forderung: ihren Namen zu behalten.
»Und warum will
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