Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
einmal. Die Bewerber verließen einer nach dem anderen den Raum. Sie beschloss zu bleiben.
Jetzt war sie nur noch die Elfte.
»Ich habe gesagt, es sind nur noch zehn Bewerbungsmappen übrig«, wiederholte die Assistentin mit einem Blick auf Hortense.
»Und ich habe beschlossen, dass ich nicht zählen kann«, erwiderte Hortense mit einem strahlenden Lächeln.
»Wie Sie wollen«, antwortete die Assistentin verkniffen und drehte sich auf dem Absatz um.
Als die letzte Bewerberin mit ihrer Mappe unter dem Arm verschwunden war, klopfte Hortense an die Tür von Miss Farland.
Die Assistentin öffnete ihr mit einem herablassenden Lächeln.
»Ich will eine Bewerbungsmappe …«, sagte Hortense.
»Ich hatte Ihnen schon gesagt, dass keine mehr da sind …«
»Dann will ich Miss Farland sprechen.«
Die Assistentin zuckte mit den Schultern, als wäre es überflüssig, weiter darauf zu drängen.
»Richten Sie ihr aus, dass ich mit Karl Lagerfeld zusammengearbeitet habe und ein von ihm unterschriebenes Empfehlungsschreiben habe …«
Die Assistentin zögerte. Ließ Hortense herein und forderte sie auf zu warten.
»Ich werde sehen, was ich tun kann …«
Sie kam zurück und bat Hortense, ihr zu folgen.
Miss Farland saß hinter einem langen ovalen Glasschreibtisch. Eine Frau wie ein Strich: dunkel, knochig, fahler Teint, eine riesige schwarze Brille, das rabenschwarze Haar zu einer Banane gerollt, grellroter Lippenstift und große goldene Ohrringe, die ihre Wangen umrahmten. Mager, so mager, dass man durch sie hindurchsah.
Sie bat ihre Assistentin, sie allein zu lassen, und streckte die Hand nach Karls Brief aus.
»Ich habe keinen Brief. Ich habe noch nie mit Monsieur Lagerfeld zusammengearbeitet. Ich habe geblufft«, sagte Hortense, ohne zu zittern. »Ich will diesen Job, er ist für mich. Ich werde Sie umhauen. Ich habe zwanzigtausend Ideen im Kopf. Ich arbeite hart, und ich habe vor nichts Angst.«
Miss Farland musterte sie überrascht.
»Und Sie glauben, mit Ihrem Geschwätz werden Sie Erfolg haben?«
»Ja. Ich bin noch keine zwanzig Jahre alt, ich bin Französin, und ich studiere im zweiten Jahr am Saint Martins College. Das erste Jahr bestehen nur siebzig Studenten von eintausend … Das Motto meiner Modenschau war Sex is about to be slow . Kate Moss hat eines meiner Modelle präsentiert … Das kann ich Ihnen auch beweisen, ich habe die DVD und die Zeitungsartikel hier … Und außerdem weiß ich, dass ich besser bin als die fünfzig anderen Bewerber.«
Miss Farland betrachtete den gegürteten schwarzen Mantel, die hochgeschobenen Ärmel, die Balmain-Jeans, den breiten Gürtel von Dolce & Gabbana, die Hermès-Tasche, die Rolex, und ihre schwarz behandschuhte Hand strich über den Stapel mit Bewerbungsmappen.
»Wir haben viel mehr als fünfzig Bewerber, es müssen ungefähr hundert sein … allein heute!«
»Dann bin ich eben besser als hundert andere Bewerber!«
Über Miss Farlands Züge huschte ein Lächeln, das freundlich gewesen wäre, wenn sie sich nicht zusammengerissen hätte.
»Dieser Job ist für mich bestimmt …«, wiederholte Hortense, die die Bresche sofort erkannt hatte.
»Die Übrigen wurden ausgewählt, weil sie gut sind, weil sie sich bereits bewährt haben …«
»Sie haben sich bewährt, weil ihnen jemand die Chance dazu gegeben hat. Eine erste Chance … Geben Sie mir meine erste Chance.«
»Sie haben schon Erfahrung …«
»Ich habe auch Erfahrung. Ich habe mit Vivienne Westwood und Jean-Paul Gaultier zusammengearbeitet. Die hatten keine Angst, mir zu vertrauen. Und ich habe auch meine ersten Modelle an meinem Teddybären ausprobiert, als ich sechs war!«
Miss Farland lächelte erneut und öffnete eine Schublade, um darin eine zusätzliche Bewerbungsmappe zu suchen.
»Sie werden es nicht bereuen …«, fuhr Hortense fort, die spürte, dass sie nicht lockerlassen durfte. »Eines Tages werden Sie sagen können, dass Sie die Erste waren, die mir eine Chance gegeben hat, dann werden die Leute kommen, um Sie zu interviewen, Sie werden Teil meiner Legende sein …«
Miss Farland wirkte ausgesprochen belustigt.
»Hier sind keine Mappen mehr, ich sehe kurz nach, ob meine Assistentin noch eine hat, Miss …«
»Cortès. Hortense Cortès. Wie der Conquistador. Merken Sie sich diesen Namen gut …«
Miss Farland ging zu ihrer Assistentin ins Nebenzimmer. Hortense hörte sie miteinander reden. Die Assistentin sagte, es gebe keine Mappen mehr, aber Miss Farland bestand darauf.
Sie
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