Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
blödes Leben sein als behinderter Hund! Auf vier Pfoten rumzulaufen, ist ja schon schlimm genug, aber dann noch eine weniger, das ist echt übel! Die dreht total durch.«
»Komm mich besuchen, das bringt dich auf andere Gedanken …«
»Ich seh zu, was ich machen kann … Ich hab’s satt, so satt! Hoffentlich hat das hier bald ein Ende! Aber ich wüsste nicht, wie das gut enden soll …«
»Sag das nicht … Und wie läuft’s in der Schule?«
»Ganz okay. Das ist der einzige Ort, an dem ich meine Ruhe habe. Bloß dass Domitille die ganze Zeit auffallen muss. Die Lehrer sind total streng zu ihr, weil sie vor nichts und niemandem Respekt hat …«
»Und wissen die Leute Bescheid? Über euch?«
»Ich glaube nicht. Jedenfalls spricht mich keiner darauf an. Ist mir auch lieber so … Das hätte mir gerade noch gefehlt!«
»Versuch, in den Weihnachtsferien herzukommen. Ich frag Maman, und du siehst zu, dass du es hinkriegst …«
»Okay. Ich muss aufhören, sie hat aufgelegt und will gleich sicher wieder über meine Schulter mitlesen! Ciao!«
Kein liebes Wort. Kein verliebtes Wort. Kein Wort, das Blumen in ihrem Herzen aufblühen ließ. Er war so wütend, dass er nie mehr so schöne Dinge zu ihr sagte wie früher. Sie unternahmen keine gemeinsamen Fantasiereisen mehr. Sie sagten nicht mehr, wir fahren nach Verona und küssen uns unter dem Balkon der Capulets. Jeder blieb in seiner Ecke. Er mit seinen Sorgen, seiner Mutter, seiner Schwester und dem Glatzkopf und sie mit der großen Sehnsucht, er möge doch etwas über sie schreiben. Er möge ihr sagen, dass er sie schön fand, dass sie sexy war und so was alles.
Jemand musste ihm unbedingt diese ganzen Katastrophen aus dem Kopf vertreiben.
Er fühlte sich für seine Mutter verantwortlich, für seine Schwester, für die Rechnungen. Er steckte in einem neuen Leben fest, von dem er nichts verstand. Er hatte keinen Halt mehr.
Ich bin sein einziger Halt, seufzte Zoé.
Und sie fühlte sich mit einem Mal stark wie ein Kompass, der immer nach Norden weist.
Sie betrachtete die Petit-Écolier-Packung und drehte sie um. Ein Keks fiel heraus. Sie nahm ihn, führte ihn zum Mund, besann sich, rief Du Guesclin und hielt ihn ihm hin.
»Dir ist das egal, du darfst zunehmen … Und du bekommst auch keine Pickel … Stimmt doch, Hunde haben nie Pickel.«
Sie haben weder Pickel noch einen Freund, der sie traurig macht. Hunde macht man mit einem einzigen Petit Écolier glücklich. Sie lecken sich die Lefzen und wedeln mit dem Schwanz. Bloß dass Du Guesclin keinen Schwanz mehr hatte. Man wusste nie, ob er zufrieden war. Es sei denn, man las es in seinen Augen.
Sie sprang auf und rannte zu ihrer Mutter, um sie zu fragen, ob Gaétan sie an Weihnachten besuchen könne.
Iphigénie saß in der Küche und hatte ihre Sonntagshandtasche auf dem Schoß, eine schöne Tasche in Krokolederimitat mit einem nachgemachten Hermès-Verschluss. Man musste schon wirklich ganz nah rangehen, um zu sehen, dass es Plastik war. Ihre Haare hatten nur eine einzige Farbe, und Zoé erkannte sie nicht sofort. Nicht genug damit, dass ihre Haare nicht in fröhlich bunten Farben erstrahlten, sie waren auch ganz platt und hingen zu beiden Seiten ihres Gesichts herunter wie der Schleier einer antiken Witwe.
Sie war gerade dabei, Joséphine von ihrem Bewerbungsgespräch bei einem Podologen zu erzählen, und wirkte sehr aufgebracht.
»Muss man sich denn wie Vieh behandeln lassen, bloß weil man Arbeit sucht, Madame Cortès? Sagen Sie doch selbst …«
»Nein … Sie haben recht, Iphigénie. Es ist sehr wichtig, seine Würde zu bewahren.«
»Würde! Pah! Das ist ein Wort aus der Vergangenheit!«
»Eben nicht! Es gehört rehabilitiert … Sie haben sich nichts gefallen lassen, und das ist sehr gut so.«
»Ihre Würde ist ein teurer Spaß! Dem war ich garantiert nicht gefügig genug. Aber der hat mir ja auch Fragen gestellt! Ich konnte gar nicht anders, als ihm zu sagen, dass ihn das nichts angeht …«
Die beiden Frauen schwiegen. Iphigénie spielte mit dem Verschluss ihrer Plastikkrokotasche, und Joséphine biss sich auf die Lippen, während sie nach einem Weg suchte, Iphigénie zu retten. Aus dem Küchenradio klang eine Jazzmelodie, und Zoé erkannte die Trompete von Chet Baker. Sie spitzte die Ohren, um den Namen des Stücks zu hören und sich zu vergewissern, dass sie sich nicht getäuscht hatte, aber Iphigénies Stimme übertönte die des Moderators auf TSF Jazz: »Was machen wir denn jetzt, Madame
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