Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
konnte.
Die Gewissheit, die sie eben noch verspürt hatte, war weg. Sie hatte nicht das Richtige getan. Bestimmung, Liebe – sie war Mutter. Sie war ihren Söhnen verpflichtet. Niemandem sonst. Sie hatte wieder einmal versagt, und diesmal gründlich.
Es tut mir leid , schrieb sie. Sie schrieb es auf hundert Arten: Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid. Sie war keine Mutter. Nicht eine schlechte Mutter, sondern gar keine. Sie war gegangen und hatte die Aufgabe abgegeben. Es gab keine Entschuldigung, es gab keine Erklärung. Trotzdem fing Poppy an zu schreiben. Sie beschrieb, wie sie als Kind versucht hatte, ihr Zimmer aufzuräumen. Wie ihre Mutter sie angeschrien hatte. Wie sie auf den Boden ihrer Schreibtischschublade geschrieben hatte: Ich hasse meine Mutter.
Poppy wünschte sich, dass ihre Söhne etwas anderes von ihr wussten als das. Aber da war nichts anderes. Sie konnte nur aufschreiben, was war.
Ted
«Ich bin einfach nicht gerne hier», sagte Lilly. «In dieser Wohnung ist kein Platz für mich.»
Sie lagen in Teds Bett, das auf drei von vier Seiten die Wand des Zimmers berührte. Seiner Kammer. «Lilly …» Er zog sie näher an sich.
«Nein.» Lilly stand auf. Sie bückte sich nach ihren Kleidern.
«Du willst doch jetzt nicht gehen?» Ted sah auf die Uhr. Fast ein Uhr morgens. Lilly war erst kurz vor Mitternacht zu ihm gekommen, nachdem sie den halben Abend SMS hin- und hergeschickt hatten. Ted hätte Aufsätze korrigieren, hätte mit Mirkos Mutter telefonieren sollen, doch er hing den ganzen Abend an dem winzigen flachen Gerät, das ihn mit der Aussicht auf Lillys Anwesenheit köderte.
Schließlich hatte sie nachgegeben und war zu ihm gekommen. Jetzt waren sie endlich allein, zusammen. Ted versuchte sie zu küssen. Lilly schüttelte den Kopf. Sie schob die Unterlippe vor. Ted war machtlos.
«Wenn du mit mir schlafen willst, musst du zu mir nach Hause kommen. In meine Wohnung, in mein Bett!»
In diesem Moment hätte er ihr alles versprochen. Fast alles. «Ich kann doch Emma nicht alleine lassen.»
«Wie lange lebt sie jetzt schon bei dir? Du hast gesagt, in ein paar Wochen, wenn sie sich mal eingewöhnt hat …»
«Es ist nicht so einfach!»
«Ich verstehe zwar nichts von Kindern, aber ich weiß, dass sie Freunde haben und auch mal bei Freunden übernachten! Das ist ganz normal.»
«Ja, aber …» Nichts ist normal, wollte er sagen. Ich kann keine der anderen Mütter bitten, Emma über Nacht zu behalten, sie würden sofort Familie spielen wollen mit uns, und das will ich nicht, das will ich um keinen Preis, die Einzige, die bei uns mitspielen dürfte, bist du – und du willst nicht.
«Nichts aber.» Lilly zog ihre Jeans über die nackte Haut. Sie wand sich hin und her, um den engen Stoff über die Hüften zu ziehen.
Ted streckte die Hand nach ihr aus. «Lilly, bitte, tu mir das nicht an. Komm zurück ins Bett, und wir reden morgen über alles.»
Sie schaute ihn abwägend an. Dann schüttelte sie den Kopf. «Nein. Wenn du mich willst, komm mit zu mir!» Sie wartete einen Augenblick an der Tür. Ted schloss die Augen. Dann ging sie.
«Ich kann abends gut alleine sein», sagte Emma beiläufig am nächsten Morgen beim Frühstück. Sie schüttete eine große Menge schokoladegefüllter Frühstücksflocken in eine Schüssel und schaute ihn dabei nicht an. «Mama ist auch manchmal ausgegangen. Du musst mich einfach vorher ins Bett bringen und mir eine Geschichte erzählen und alle drei Lieder singen. Dann musst du mir das Telefon neben das Bett legen und deine Handynummer muss auf Stern-eins einprogrammiert sein.»
«Spinnst du?» Ted goss Milch in Emmas Schüssel. «Ich lass dich doch nachts nicht allein, so weit kommt’s noch!»
«Aber wenn ich doch schlafe!»
«Und wenn du aufwachst?»
Emma zuckte mit den Schultern. «Dann ruf ich dich an.»
«Emma, selbst wenn ich das wollte – und ich will es nicht, hörst du? –, es ist verboten. Man darf ein Kind nachts nicht allein lassen!» Noch während er es sagte, wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er wollte Tinas Verhalten nicht kritisieren, denn das hieße, Emma zu bestätigen, dass ihre Mutter sie vernachlässigt hatte. So gut er konnte, schützte er sie vor den schockierten Kommentaren der anderen Mütter.
Satya , dachte er. Aufrichtige Kommunikation. Was hat Nevada gesagt? Wer immer ehrlich ist in Gedanken, Worten und Gesten, wird im Umgang mit anderen keine Fehler machen. Ha! Das war wohl ein Witz. Oder er
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