Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
Vom Netzwerk:
hatte etwas sehr falsch verstanden. Er wünschte, er könnte nach der Yogastunde mit den anderen in die Bar gehen, sich an einen der runden Tisch setzen, er wünschte, er könnte die anderen fragen, ob sie das begriffen. Das mit den Fehlern. Vor allem jetzt, wo sich ein zweiter Mann der Gruppe angeschlossen hatte. Ein Mathematiker. Ein Wissenschaftler. Ted hätte gerne gehört, wie er das Yoga Sutra verstand. Ihn beruhigte die Tatsache, dass der andere noch unbeweglicher war als er selber.
    «Erwachsene brauchen Zeit für sich», murmelte Emma.
    Schnell lenkte er ein. «Ja, natürlich. Aber sag mir lieber, wie du jetzt darauf kommst. Lass mich raten, du hast Lilly und mich reden gehört?»
    «Ihr habt gestritten. Und Lilly ist gegangen.»
    Ted versuchte ihren Tonfall zu deuten. War sie erleichtert, war sie traurig? Er wünschte sich immer noch, Lilly und Emma könnten sich ineinander verlieben. Sie könnten eine Familie sein, zu dritt. Ted wusste es besser. Doch er hielt unverdrossen an dem Bild fest, das er seit seiner Kindheit in sich trug. Nachdem Balthasar ausgezogen war, hatte seine Mutter ihn eine Zeitlang zu seinem richtigen Vater geschickt. Und dort hatte er genau das vorgefunden, was er sich immer vorgestellt hatte: ein kleines Haus, einen Garten mit einer Schaukel, einen Sandkasten, ein Meerschweinchengehege. Kajütenbetten. Spidermanbettwäsche. Ted hatte zwei kleine Brüder, die genau so aufwuchsen, wie er es sich gewünscht hatte. Doch in dem Haus war kein Platz für Ted. Er war zu groß für eine richtige Kindheit. Es war zu spät. Seine Mutter verliebte sich neu, zog um, holte Ted wieder zu sich, dann trennte sie sich wieder. Bevor Ted noch einmal zu seinem Vater geschickt werden konnte, meldete er sich selber an einem Internat in den Bergen an. Seine Noten waren so gut, dass er ein Stipendium bekam. Das Internat kam seinen Vorstellungen näher als alles andere.
    Trotzdem fiel Ted jetzt niemand anderes ein als seine Mutter. Konnte er ihr Emma ausliefern? Emma. Lilly. Emma. Lilly. Ted war verzweifelt. Verzweifelte Zeiten verlangten nach verzweifelten Maßnahmen.
    «Ich mach dir einen anderen Vorschlag», sagte Ted. «Deine Oma Ingrid, erinnerst du dich?»
    Emma nickte.
    «Die wünscht sich schon so lange, dass du mal bei ihr übernachtest. Willst du das?»
    Emma war noch nie allein bei Ingrid gewesen. Ted traute seiner Mutter nicht. Als Emma noch ein Baby gewesen war, hatte sie darauf bestanden, mit ihr spazieren zu gehen. Ted war in sicherem Abstand gefolgt und hatte gesehen, wie sie schon nach zehn Minuten den Kinderwagen vor einem Schaufenster stehen ließ. Er konnte sie durch die Scheibe sehen, wie sie Kleider von Bügeln zog und prüfend vor ihre Brust hielt. Er hatte den Kinderwagen ein paar Häuser weiter zu einem Straßencafé geschoben, hatte sich dort gut sichtbar hingesetzt und etwas bestellt. Es dauerte eine halbe Stunde, bis seine Mutter mit zwei großen Tüten aus der Boutique trat. Doch sie blieb nicht stehen, sie schaute sich nicht um, sie ging geradewegs auf ihn zu.
    «Ich hab dich durch die Scheibe gesehen», sagte sie fröhlich. «Hast du mich nicht gesehen? Ich hab dir noch zugewinkt! Ich hätte doch die Kleine nicht aus den Augen gelassen. Was du wieder denkst!»
    Ted hatte ihr kein Wort geglaubt und Emma nie wieder mit seiner Mutter allein gelassen. Sie besuchten sie manchmal zusammen, selten, alle drei Monate einmal. Seine Mutter, das musste er ihr lassen, beschwerte sich nie darüber.
    «O ja, das will ich!» Emma ließ ihren Löffel fallen. Milch spritzte über den Tisch.
    «Willst du? Wirklich?»
    «Bei Oma Ingrid ist es schön, wir spielen Verkleiden! Sie hat eine große Kiste, sie hat gesagt, wenn ich mal länger bei ihr bleibe …»
    Ted kannte die Kiste. Er grinste. «Okay, dann ruf ich sie heute an, und wir machen etwas ab.»
    «Heute?», rief Emma. Sie sprang vom Stuhl auf und klatschte in die Hände. «Heute wird der beste Tag!», sang sie. Dann umarmte sie Ted so heftig, dass er ihre Arme von seinem Bauch lösen musste.
    «Ist ja gut! Jetzt geh dir die Zähne putzen, wir müssen gleich los.»
    Emma hüpfte ins Badezimmer. Ted schaute ihr nach. Er schüttelte den Kopf. Wie konnte es sein, dass er seine Tochter so wenig kannte? Und was, wenn seine Mutter heute gar keine Zeit hatte?
    «Natürlich habe ich Zeit. Soll ich sie gleich von der Schule abholen?»
    «Auf gar keinen Fall. Ich pack ihre Sachen und bring sie dann.»
    «Wie du willst.»
    Ted legte den Hörer auf. Er

Weitere Kostenlose Bücher