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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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diese Paste.
    «Die Mutterschaft ist die letzte legale Form der Sklaverei», dozierte Ingrid. «Mit der Muttermilch saugen sie dir die Seele aus, die Identität …»
    Ted trank sein Bier aus und nahm sein Handy aus der Hosentasche. Was zum Teufel hatte er sich dabei gedacht? Er musste seine Tochter da rausholen. Bevor es zu spät war.
    Doch da kam Lilly. Und er vergaß alles andere.
     
Nevada
     
    «Das tut mir allerdings leid», sagte Lakshmi. Nichts brachte andere so schnell zum Verstummen wie der Satz: «Ich habe eine unheilbare Krankheit.»
    Oona begann zu weinen. Dolores rutschte auf den Knien näher zu Nevada und begann ihr mit beiden Händen sanft über den Kopf und die Schultern zu streichen. Dabei hielt sie die Augen geschlossen und summte leise vor sich hin. Die Ameisen unter Nevadas Haut wachten auf und versammelten sich zum Protest. Nevada entzog sich der Umarmung. Dolores öffnete die Augen und blickte verletzt.
    «Und was heißt das konkret», fragte Lakshmi, «wirst du weiter unterrichten können oder nicht?»
    «Ich weiß es nicht», sagte Nevada. «Ich hab die Diagnose erst vor kurzem bekommen. Ich weiß noch nicht, was es heißt. Die Krankheit kann ganz unterschiedlich verlaufen. In Schüben oder kontinuierlich. Im Moment geht es mir jedenfalls besser als noch letzte Woche. Das kann eine ganze Weile so bleiben. Ich weiß nicht, ob ich gelähmt sein werde oder nicht. Ob es schnell geht oder langsam, das weiß ich nicht. Ich würde gern weiter unterrichten, aber halt anders. Vielleicht könntest du mir weiterhin assistieren, Nadine?»
    Nadine presste die Lippen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Sie atmete geräuschvoll durch die Nase, bis alle Blicke auf sie gerichtet waren. Dann brach es aus ihr heraus: «Das ist doch einfach nicht fair!», rief sie. «Ich will schließlich selber Yogalehrerin werden. Ich will selber unterrichten. Ich kann alle fortgeschrittenen Asanas ausführen. Wenn ich die Übungen vormache, dann bin ich die Lehrerin, oder? Dann braucht es dich doch gar nicht!»
    «Es gehört schon etwas mehr dazu als Asanas vorzuführen», sagte Nevada und schaute zu Lakshmi hinüber. Warum schaltete sie sich nicht ein? «Wir haben eine lange Ausbildung hinter uns, nicht, Lakshmi?»
    «Die Zeiten haben sich geändert», wich Lakshmi aus. «Heute gibt es andere Wege.»
    «Du willst immer eine Extrawurst!», rief Nadine. «Ja, okay, du hast eine unheilbare Krankheit – aber wer sagt das denn? Ein Arzt? Seit wann glauben wir den Ärzten? Und warum heißt das, dass für dich jetzt andere Regeln gelten sollen als für alle anderen? Sind wir etwa weniger wichtig, nur weil wir nicht sterben?»
    «Wir sterben alle», sagte Lakshmi. «Keiner weiß, wann. Nein, Nevada ist kein Sonderfall.»
    Dolores kauerte jetzt neben Nadine und versuchte sie mit sanftem Streicheln über den Rücken zu beruhigen. Nadine saß kerzengerade.
    «Ich höre dich», sagte Oona zu Nadine. «Es ist, als ob Nevada plötzlich ganz neue Regeln aufstellen würde. Wir haben doch eine bestimmte Richtung, eine bestimmte Philosophie. Wir unterrichten alle irgendwie auf derselben Ebene, so dass die Schüler von einem Kurs in den anderen wechseln können, ohne dass sich ihre Übungspraxis grundlegend verändert. Wir können hier doch nicht plötzlich mit Behindertenyoga anfangen!»
    «Behindertenyoga?» Wieder schaute Nevada zu Lakshmi hinüber, die eine Mala durch ihre Finger gleiten ließ wie einen Rosenkranz. Nevada fragte sich, welches Mantra sie wohl im Innern rezitierte.
    «Behindertenyoga», wiederholte Nevada. «Wirklich?»
    «Ja, okay, das war jetzt vielleicht hart formuliert, aber darauf läuft es doch hinaus. Du hast selber gesagt, dass du nicht weißt, ob du gelähmt sein wirst. Was, wenn du bald einen Rollstuhl brauchst? Das Studio ist im ersten Stock, wir haben keinen Lift, wie soll das denn überhaupt gehen?»
    Dolores ließ von Nadine ab. Sie kniete sich hin und verneigte sich in Richtung des Altars. Sie legte die geöffneten Handflächen nach oben. Dann richtete sie sich wieder auf und wandte sich an die Gruppe. «Also, ich kann ja nur für mich sprechen. Ich bin voller Mitgefühl für dich, Nevada, aber ich sehe, dass du das im Moment nicht annehmen kannst. Vielleicht musst du deine ganz persönliche Yogapraxis überdenken. Hast du wirklich mit Hingabe geübt? Hast du auf deinen Körper gehört? Offensichtlich wehrt er sich gegen irgendetwas, und zwar mit aller Macht. Was das ist, kann ich dir nicht sagen.

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