Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
verkriechen. Sie wusste nicht, was Poppys Aufgabe war. Oder ob sie es selber wusste. Doch sie hatte schon richtig erkannt, dass Wolf etwas damit zu tun hatte. Die Besessenheit, mit der sie sich auf ihn gestürzt hatte, war nicht falsch gewesen. Sie hatte nur den Grund für diese Besessenheit verwechselt. Nicht seinen Körper begehrte sie, sondern die Wahrheit.
«Ist es so passiert?», fragte sie. «Hast du so deine Frau umgebracht?»
Wolf hielt ihrem Blick stand. Er redete, als hätte er nur auf diese Frage gewartet. «Das Einzige, was ich immer wusste, war, dass ich nie eine Frau schlagen würde. Mein Vater war ein Schläger. Er hat meine Mutter verprügelt, meine Brüder und mich, immer schön dem Alter nach, einen nach dem anderen, methodisch. Je nach Vergehen mit dem Gürtel, mit dem Stock, mit der Hand. Es war ein Ritual. Ich war der Älteste, ich kam immer zuerst dran. Ich war der Vorkoster. Meine Brüder standen vor der Tür und versuchten zu hören, wie schlimm es heute sein würde. Manchmal habe ich absichtlich laut geschrien, damit sie wussten, was auf sie zukam. Bernhard, der Mittlere, hat einmal zurückgeschlagen. Er war erst vierzehn, aber stark. Er ist von zu Hause weggelaufen. Hat die Schule nicht abgeschlossen. Ich war ein Schwächling, ich hatte es im Kopf. Ich kam aufs Gymnasium. Mein bester Freund war Georg Brühlmann. Sein Vater war im Rollstuhl. Er nahm sich meiner an, half mir bei den Hausaufgaben. Ich verbrachte mehr Zeit bei Brühlmanns als zu Hause, ganze Wochenenden lebte ich bei ihnen, fuhr sogar ein paarmal mit in die Ferien. Ich weiß nicht, ob sie wussten, was bei mir daheim los war. Georg muss die Striemen auf meinem Rücken gesehen haben, aber er hat nie etwas gesagt, nicht zu mir. Er machte Karate, und eines Tages ging ich einfach mit zum Training. Es hat mich gerettet. Ich konnte meinen Vater töten, ohne die Kontrolle zu verlieren. Als ich den blauen Gürtel hatte, traute ich mich wieder öfter nach Hause zurück, und mein Vater ließ mich in Ruhe. Ich merkte erst nach einer Weile, dass es nicht an meinem blauen Gürtel lag. Auch Urs, der Jüngste, war schon ausgezogen, er arbeitete auf dem Bau. Mein Vater hatte ganz einfach angefangen, meine Mutter zu verprügeln. Mit der Faust, nicht mit dem Gürtel, und nicht hinter verschlossenen Türen. Einmal kam ich früher als sonst von der Schule nach Hause. Meine Mutter lag auf dem Küchenboden, ihr Gesicht war blutig, ein Arm verdreht, er trat auf sie ein. Da ging ich auf ihn los. Ich hätte ihn umgebracht – ein gezielter Schlag gegen den Kehlkopf –, wenn sie nicht dazwischengegangen wäre. Sie hat ihn verteidigt. Sie hat mich beschimpft. ‹Was bist du für ein Sohn! Wenn du nicht so frech wärst!› Sie hat mir die Schuld gegeben. Ich bin dann für den Rest der Schulzeit zu Brühlmanns gezogen, sie haben keine Fragen gestellt. Den schwarzen Gürtel hatte ich noch vor der Matur. Ich habe den Kontakt zu meiner Familie abgebrochen.
Kim und ich hatten immer eine physische Beziehung. Vielleicht weil wir nicht dieselbe Sprache sprachen. Wir konnten nie gut miteinander reden. Wir waren einander immer fremd. Wir fanden uns im Bett. Schon als wir ganz frisch verliebt waren, hat sie mich manchmal geschlagen, anfangs eher spielerisch, obwohl, es gab schon manchmal blaue Flecken. Sie war immer heftig. Überschwenglich. Unkontrolliert. Das hat mir immer gefallen.
Dann starb mein Vater, mir wurde ein gutbezahlter Job angeboten, wir zogen in die Schweiz. Doch dann fiel alles auseinander. Kim war so unglücklich hier. Sie fand keine Freunde, keine Arbeit, sie wurde immer wütender. Auf mich. Ich hatte ihr alles genommen und nichts gegeben. Wir stritten uns immer häufiger, immer heftiger, erst schlug sie mir die Nase blutig, das Auge blau, dann brach sie mir den Kiefer, den Arm.
Was sollte ich tun? Zurückschlagen? Das ist es doch, was er gewollt hat, dass wir so werden wie er: Bernhard ist ein Schläger, immer wieder im Gefängnis. Urs nimmt Drogen. Und ich? Sollte ich meine Frau schlagen?
Ich wollte schon kündigen und mit Kim zurück nach Texas ziehen. Doch dann trat Poppy wieder in mein Leben. Ich hatte noch einmal eine Chance. Wir waren so glücklich, Poppy und ich, wir gehören einfach zusammen. Nach wenigen Wochen war klar, dass ich mich von Kim trennen musste. Aber ich hatte Angst. Angst vor ihrer Reaktion. Doch Poppy ließ mir keine Wahl. Sie konnte das Versteckspiel nicht ertragen, das Lügen. Sie zog sich zurück. Also sagte ich
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