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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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Augen? Das Einzige, was Marie sehen konnte, war, dass Herr Bolliger müde war.
    «Herr Bolliger, kommen Sie, setzen Sie sich doch erst einmal hin. Das ist bestimmt ein Schock für Sie. Und Sie müssen doch fit sein für Ihre Schicht.»
    Bolliger hob unwillkürlich den Arm, um auf die Uhr zu schauen, und Mira huschte aus der Küche. Marie hoffte, sie würde sich nicht wirklich noch mit Packen aufhalten. Nein. Sie hörte, wie sie die Haustür öffnete und leise wieder schloss. Bolliger hatte jetzt ihren Arm gepackt. Vorsichtig bewegte sich Marie auf den Stuhl zu, auf dem Mira eben noch gesessen hatte.
    «Ich möchte gerne Ihren Blutdruck messen», sagte sie. «Nur zur Sicherheit. Setzen Sie sich bitte. Strecken Sie den Arm aus, so!» Sie sprach ganz ruhig mit ihm, als sei alles in Ordnung. Sie hörte, wie ihr Wagen angelassen wurde, der Motor hustete ein paarmal. Endlich setzte Bolliger sich hin. Dabei lockerte er seinen Griff.
    Marie schaute sich um, als suchte sie etwas. «Ich bin gleich wieder da», sagte sie. «Ich hole nur meinen Koffer.»
    Bolliger nickte stumm. Konnte es so einfach sein? Marie lächelte ihm freundlich zu und ging dann aus der Küche ins Wohnzimmer. Bevor sie den Flur betrat, drehte sie sich um. Bolliger hatte den Kopf auf die Tischplatte gelegt.
    Marie trat aus dem Haus, gerade als Maurer den Wagen gewendet hatte. Er beugte sich zur Beifahrerseite hinüber und öffnete die Tür. Mira saß mit den Kindern hinten.
    «Fahren Sie, los!», sagte Marie und stieg ein.
    Ein paar Kilometer lang fuhren sie schweigend. Zurück Richtung Stadt.
    «Ins Kantonsspital?», vergewisserte sich Maurer.
    «Nein, Maurer, nicht ins Spital, ins Frauenhaus!», sagte Marie.
    Mira konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. Serena fiel ein, dann Joshua, alle drei lachten schrill und laut und haltlos, bis endlich alle drei weinten. Marie gab Maurer die Adresse. Schweigend fuhren sie durch die Stadt. Schließlich beruhigten sich Mira und ihre Kinder auf dem Rücksitz. Mira legte ihre Hand von hinten auf Maries Schulter.
    «Danke», sagte sie.
    «Wahnsinn», sagte Maurer nach einer Weile. «Wie Sie das durchgezogen haben. Wie in einem Film.»
    «Nicht wie in einem Film, wie in einer Fernsehserie», murmelte Marie.
    «Das Vorstadtspital!» Mira kicherte haltlos. «Hab ich sofort erkannt, die Szene, ich schau mir ja jede Folge an, mit diesem Trottel, der einen Albaner spielen soll! Und jetzt steht er plötzlich leibhaftig bei mir in der Küche, der Albanerdoktor Zlotan mit dem Schweizer Nachnamen!»
     
Ted
     
    Tina war zum Kampf bereit. Sie kam gerüstet. Und nicht allein. Sandra begleitete sie, die Mutter von Emmas Freundin Tara.
    «Wo ist Emma?», fragte Ted.
    «Sie ist mit Ingrid einkaufen gegangen. Wir brauchen noch einiges für die Reise. Ingrid wird uns begleiten, sie wollte immer schon mal den Topanga Canyon sehen, wo die Rockstars leben …»
    Ted nickte. Seine Mutter hatte sich auf die Gegenseite geschlagen. Das überraschte ihn nicht. Mit seinem letzten Klassenzug hatte er einen – diesmal vorbereiteten – Ausflug nach Zürich gemacht. Damals war gerade die bronzene Riesenspinne von Louise Bourgeois am Bürkliplatz aufgebaut worden. Während sie auf das Schiff warteten, das sie nach Rapperswil bringen würde, hatten sie zugeschaut, wie ein Kran die haushohen knorrigen Spinnenbeine aufrichtete. Die Mädchen hatten gekreischt, die Buben geflucht. Ted hatte ihnen nicht gesagt, wie die Statue hieß. Als sie von ihrer Schifffahrt zurückkamen, stand die Spinne. Ihre Beine spannten sich über den Platz. Ihr kleiner Leib täuschte. Kopflos lauerte sie ihrem nächsten Opfer auf.
    Ted stellte sich direkt unter ihren Bauch, unter das Netz, in dem die Eier lagen. Er stellte sich vor, das Netz würde platzen und die schweren bronzenen Kugeln auf ihn herabregnen und ihn erschlagen. Einige seiner Schülerinnen und Schüler scharten sich um ihn und starrten ängstlich nach oben. Die anderen umlagerten den Kiosk, zählten ihr Geld, debattierten, wie sie es am besten ausgeben sollten. Angewandte Mathematik. Ted schaute nach oben, bis die Sonne direkt hinter der Spinne verschwand, als hätte sie sie verschluckt. Schwarz lauerte sie über ihm, dann beugte sie langsam ihre knotigen Beine, senkte ihren Bauch auf ihn, verschluckte ihn. Er schloss die Augen.
    Maman.
    So hieß die Spinne. Die Mutter aller Frauen. Er stand unter ihr und ließ sich von ihr einwickeln, aussaugen, vernichten. Seine Mutter war die Erste gewesen. Die Erste,

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