Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
versuchst es besser gar nicht erst. Wenn du deinen Job zurückbekommen willst. Du weißt, Anna könnte ihre Beschwerde bei der Schulpflege jederzeit zurückziehen, die ganze Sache würde sich in Luft auflösen.»
Ted sah, wie das Hinterteil der bronzenen Spinne aufplatzte und ein Heer unzufriedener Frauen entließ. Sie marschierten auf ihn zu, ihre acht Fäuste gegen ihn erhoben, lauter Frauen, die er nicht glücklich gemacht hatte, angeführt von Ingrid.
Plötzlich musste er lachen. Er sollte für das Unglück aller Frauen verantwortlich sein? Er, Ted? «Überschätz dich mal nicht, Mann!»
«Wie bitte? Wie nennst du mich?» Tina war empört. Sie hatte ihr Kinn gereckt, den Kiefer vorgeschoben, früher hatte dieser Ausdruck ihn gereizt, sie zu küssen. Nicht mehr.
«Sorry», sagte er, «ich hab mit mir selbst gesprochen.»
«Wenn du glaubst, das sei ein Witz …!»
«Nein, Tina, nein, das glaube ich nicht.» Ted gab auf. Er hatte alles versucht und nichts erreicht. Jetzt konnte er nicht mehr. Seine Mutter war nicht glücklich, Tina war nicht glücklich, Lilly schon gar nicht. Sandra nicht, Martina nicht, Anna nicht. Nicht einmal Emma war glücklich. Und auf Emma kam es an. Nur auf Emma.
Nevada hatte gesagt, das letzte Klesha , die unbegründete Angst, löse sich von selber auf. Da könne man gar nichts machen. An der Angst könne man nicht arbeiten. Die Mutter aller Ängste sei die Angst vor dem Tod. Jede Form von Angst sei eine Abwandlung dieser ersten. Und jede Angst sei wie diese unbezwingbar. Wieder dachte Ted an die Statue, die Maman hieß. Nicht die Mutter aller Frauen. Die Mutter aller Ängste.
«Der Angst vor dem Tod kann man nichts entgegenhalten», hatte Nevada gesagt. «Man kann sie nur in den Arm nehmen. Man muss sie akzeptieren, man muss den Tod akzeptieren. Den Tod kann man nicht verhindern. Auch die mächtigste, größte Angst schützt nicht vor ihm.» Und dann hatte sie ihnen gesagt, dass sie an einer unheilbaren Nervenkrankheit leide und das Studio am Wasser verlassen würde. Sie wisse noch nicht, ob, wie und wo sie weiterunterrichten würde. Aber sie vertraue darauf, dass ihre Schüler sie finden würden, wenn sie sie brauchten.
Ausgerechnet jetzt, wo Ted zum ersten Mal das Gefühl hatte, etwas gelernt zu haben, etwas, das er brauchen konnte. Seine größte Angst, Tina könne ihm Emma wegnehmen, hatte sich verwirklicht. Und hier saß er und atmete weiter. Er blieb einfach am Tisch sitzen und atmete weiter. Ihm konnte nichts mehr passieren. Einen nach dem anderen aß er alle Kekse auf. Sie knirschten zwischen seinen Zähnen, das Geräusch füllte seinen Kopf und übertönte die Stimmen der Frauen, das Klirren ihrer Waffen, die sich über dem Tisch erhoben. Als beide Packungen leer waren, stand er auf, füllte am Spülbecken ein Glas mit kaltem Wasser und trank es aus. Dann drehte er sich zu den Frauen um. Jetzt konnte er wieder sprechen.
«Tina», sagte er, «Tina, es ist ja gut. Ich denk gar nicht daran, vor Gericht zu gehen. Emma freut sich auf die Reise. Es ist eine großartige Gelegenheit für sie. Meinst du im Ernst, ich würde ihr die wegnehmen wollen? Außerdem hat sie dich vermisst.»
Als Emma und Ingrid von ihrem Ausflug zurückkamen, saßen Tina und Ted auf dem Sofa und schauten sich auf Tinas iPad Fotos an. Sandra war gegangen. Ihre Mappe hatte sie wieder mitgenommen. «Das wird ein Nachspiel haben», hatte sie gedroht.
Tina hatte gelacht. «Von Frauen verstehst du immer noch nichts», hatte sie gesagt.
Sie hatten eine Flasche Wein getrunken und die Bilder angeschaut, von Los Angeles, von Tinas Haus, von Emmas Schule. Dann klingelte es an der Tür.
«Huhu!», rief Ingrid. Ted öffnete die Tür.
«Bist du allein?», fragte er. Er gab vor, Emma in dem Berg von Einkaufstüten nicht zu sehen. «Hast du meine Tochter gegen Kleider eingetauscht?»
«Papa! Hier bin ich doch!», rief Emma.
«Hilf uns lieber», sagte Ingrid.
«Ach, hier bist du! Ich hab dich gar nicht gesehen!» Er hob Emma hoch und ließ seine Mutter die Taschen hereintragen.
«Hallo, Schatz!» Tina saß barfuß auf dem Sofa, ein leeres Weinglas in der Hand. Emmas Augen flitzten unsicher von Mutter zu Vater, sie versuchte die Situation einzuschätzen. Ted sah ihr kleines, weißes, dreieckiges Gesicht und wusste, dass er das Richtige getan hatte.
«Habt ihr ein ganzes Warenhaus ausgeraubt?», fragte er. «Lass mal deine Ausbeute sehen!»
Emma breitete ihre Schätze auf dem Boden aus. Kleider, Schuhe,
Weitere Kostenlose Bücher