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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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gute Ärztin zu sein. Musste man das Leiden kennen, um es zu lindern? Um es überhaupt zu erkennen? Vielleicht hätte sie statt Maurer die Hebamme mitnehmen sollen, die erfahren war und nicht verklemmt, die die Dinge beim Namen nennen konnte.
    «Das verstehst du nicht», sagte Mira. «Ich habe ihn geliebt, weißt du. Bernhard war ein kleiner Gauner, als ich ihn kennenlernte. So charmant. Aber gefährlich. Ich selber war ja auch wild damals, ich nahm Drogen, ich tanzte ganze Nächte durch … wir gehörten zur selben Gang … Ja, er hat mich geschlagen, aber das gehörte dazu, damals. Er zeigte mir, dass ich zu ihm gehörte. Dann kam das erste Kind, und unser Leben änderte sich. Ich war überfordert. Allein. Bernhard blieb ganze Nächte lang weg. Eines Nachts hielt ich es nicht mehr aus. Ich habe Serena ein Zäpfchen gegeben, damit sie schläft, und bin tanzen gegangen, allein, ich habe mit fremden Männern getanzt …» Das Mädchen schaute nicht auf, als es seinen Namen hörte, aber es wurde ganz ruhig auf Miras Schoß. Mira seufzte leise und fuhr fort. «Als ich nach Hause kam, lag sie auf dem Boden vor dem Bett. Sie war aufgewacht und hatte versucht, aus dem Bett zu klettern. Sie hatte sich verletzt. Im Spital haben sie ganz genau nachgefragt, was passiert ist. Ich habe gesagt, ich hätte geschlafen. Ich habe nicht gesagt, dass ich tanzen war. Ich weiß noch, wie ich dachte: Wenn sie nur bei den Erwachsenen auch so genau nachfragen würden … Von da an riss ich mich zusammen. Ich hörte auf zu trinken, zu tanzen, zu jammern, ich wurde eine gute Mutter. Serena würde nichts passieren, das schwor ich mir. Ich wollte ihn verlassen. Ich wollte aus allem raus, mit allem abschließen. Aber er weiß, was ich getan habe. Ich war ja auch blöd genug, um in einen Club zu gehen, in dem ihn alle kennen. Er hat gesagt, wenn ich gehe, sorgt er dafür, dass ich meine Tochter nie wiedersehe. Das war das erste Mal, das einzige Mal, dass er mich mit Gewalt genommen hat… und dann kam Joshua … Und als Joshua geboren wurde, passierte etwas mit Bernhard. Er weinte bei der Geburt. Er würde ein guter Vater sein, das schwor er noch im Gebärsaal. Sein Sohn sollte es einmal besser haben als er. Er brach mit seinen alten Freunden, er suchte sich einen Job, holte den Schulabschluss nach, fand einen besseren Job, wir kauften dieses Haus … Er arbeitet zusätzlich nachts als Sicherheitsbeamter, das ist ein Witz, aber da nehmen sie gern Leute mit Erfahrung, so nennen sie das. Er schuftet sich kaputt, er schläft nicht, er bietet uns ein gutes Leben, er tut alles für uns. Dafür müssen wir leise sein, und wir dürfen keinen Dreck machen. Das ist kein zu hoher Preis.»
    «Und warum kommst du dann immer wieder zu uns ins Spital, Mira? Du willst, dass wir nachfragen, dass wir etwas merken, aber was?»
    Mira atmete tief. «Ich will weg. Aber ich weiß nicht, wie. Ich brauche einen Grund. Jetzt, wo er sich solche Mühe gibt, wo er alles richtig macht, habe ich keinen Grund mehr zu gehen. Aber ich halte es trotzdem nicht mehr aus.» Sie begann zu weinen.
    «Leise sein!», mahnte Serena, doch zu spät. Schwere Schritte im Gang. Der kleine Junge schloss seinen Mund und senkte seinen Kopf wie ein uralter Mann. Die Tür flog auf, und Marie drehte sich um. Sie erwartete, ein Monster zu sehen, im Fernsehen waren diese Männer immer dunkel und wild, deshalb hatte sie ja Maurer mitgenommen, den Einzigen, der ihr auf die Schnelle eingefallen war, der diesem Bild entsprach. Doch in der Tür stand ein schmächtiger kleiner Mann mit schütterem Haar und grauer Haut. Schwere Augensäcke. Er ist müde, erkannte Marie, er ist ganz einfach müde. Er kämpft um sein Recht zu schlafen.
    «Was ist hier los?» Seine Stimme klang seltsam hoch und schrill.
    «Herr Bolliger, ich bin Frau Doktor Leibundgut vom Kantonsspital und das ist mein Kollege Doktor Maurer. Wir haben nur ein paar Fragen an Ihre Frau.»
    «Warum? Warst du wieder im Spital? Wann war das?»
    Mira presste die Lippen zusammen.
    «Letzte Woche», sagte Marie und blätterte in ihren Unterlagen. «Mittwoch, neunzehn Uhr dreißig.»
    «Kaum bin ich bei der Arbeit, rennst du ins Spital? Und die Kinder? Wo waren die Kinder?»
    «Bei Frau Zenthäuser.»
    Marie verstand plötzlich: Die Zeitspanne, in der ihr Mann bei der Arbeit war und sie ihre Nachbarin bitten konnte, auf ihre Kinder aufzupassen, bevor diese schlafen gehen wollte, war wegen der Schichtarbeit klein. Deshalb die Randstunden.
    Marie fragte

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