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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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halben Stunde in ihre Zellen zurückgingen, waren ihre Schultern gebeugt, ihre Augen stumpf und ihre Lippen schmal. Poppy kam zum Schluss, dass man die Liebe nicht verdienen konnte. Aber was sollte man sonst tun?
    Die Arbeit wurde von einer Rauchpause im Spazierhof unterbrochen, dann gingen sie zurück in ihre Zellen, um das Mittagessen einzunehmen, jede für sich allein. Nachmittags durften sie eine Stunde in den Hof. Poppy hatte regelmäßige Gespräche mit einem der drei diensthabenden Psychiater, jedes Mal mit einem anderen. Ihr Anwalt hatte diese Gespräche angeordnet. Ihrer Weigerung, zu sprechen, sich zu entlasten, musste doch eine psychologische Störung zugrundeliegen, meinte er.
    «Ja», sagte Poppy. «Die Liebe.»
    «Sie nehmen die Situation nicht ernst!» Poppy verstand nicht, warum Wolf ihr einen Anwalt bezahlte. Warum wollte er, dass sie sich verteidigte? Wie konnte sie ihn weiterhin schützen, wenn sie sich verteidigte? Wollte er denn nicht, dass sie ihn schützte? Sie hatte gehofft, der Anwalt würde ihr einen Brief von ihm mitbringen, ein Geschenk, irgendetwas.
    «Herr Bolliger lässt Ihnen sagen, er würde alles für Sie tun», sagte er nur. «Wirklich alles.» Dann ließ er sie stapelweise Vollmachten und Eingaben unterzeichnen und ging dann wieder. Poppy lag nächtelang wach und kaute auf diesen wenigen Worten herum. Er würde alles für sie tun. Wirklich alles. Hieß das, er würde gestehen? Wenn Wolf gestand, würde sie entlassen. Dafür käme er ins Gefängnis. So oder so, sie konnten nicht zusammen sein. Nie wieder. Nie mehr.
    Nach einer solchen schlaflosen Nacht hatte Poppy beim Putzen ihrer Zelle nicht aufgepasst und die Putzmittelflasche umgestoßen. Die schmierige, scharfriechende Flüssigkeit hatte sich über den Betonboden ergossen, sie hatte versucht, sie mit ihrem Handtuch wegzuwischen. Dann hatte sie ein neues Tuch verlangt und war verwarnt worden.
    «Sie kennen doch die Regeln, Frau Schneider!»
    «Streng, aber gerecht», hatte Samantha gesagt, die aus einem anderen Gefängnis verlegt worden war, als ihr Geburtstermin näher rückte. Hier gab es Mutter-Kind-Zellen. Dort hatten die Gefangenen ihre Privilegien selber verwaltet, was dazu führte, dass die Bienenköniginnen den ganzen Tag am Telefon hingen, während die Arbeiterinnen wochenlang auf einen Anruf warten mussten.
    «Hier ist es viel besser», sagte Samantha. «Du lernst am ersten Tag die Hausordnung auswendig, du hältst dich daran, du hast keinen Ärger, basta!»
    Poppy hätte auf sie hören sollen. Sie nahm die laminierte Hausordnung in die Hand und las sie durch: Handtücher werden einmal die Woche ausgegeben, ein Stück.
    «Aber das ist doch absurd», sagte sie. «Das können Sie doch nicht ernst meinen, wie soll ich denn mit diesem einen Lappen eine ganze Flasche Putzmittel aufwischen?»
    «Sie müssen sie ja nicht ausleeren», sagte Frau Meier. Bevor Poppy bewusst wurde, was sie da tat, hatte sie ihr verschmutztes Handtuch zusammengeknüllt und gegen die Wand geworfen.
    «Aber, Frau Schneider», sagte Frau Meier traurig. «Sie lassen mir ja keine andere Wahl. Eine Nacht Arrest. Die Regeln gelten für alle. Schade, Frau Schneider! Sie stellen sich immer selber ein Bein!»
    Das hörte Poppy nicht zum ersten Mal.
    Die Arrestzelle war ganz in dunklem satten Rosa gehalten. Boden, Wände und Decke waren in dieser Farbe gestrichen, sogar der Plastiküberzug der Matratze leuchtete in Cool Down Pink . So hieß die Farbe, die eine beruhigende Wirkung haben sollte, das war wissenschaftlich erwiesen. Allerdings auch, dass diese Wirkung in ihr Gegenteil umschlagen konnte. Wann, das war nicht vorherzusagen. Nach ein paar Stunden oder Tagen, bei manchen auch gar nicht. Bei Poppy dauerte es zehn Minuten, und die Farbe löste einen Wirbel in ihrem Kopf aus, der sich schnell zum Orkan hochschraubte.
    Durchhalten, durchhalten, für wen? Die Buben sind doch ohne dich besser dran. Was sollen sie mit einer Mutter, die nicht mal eine zwölf Quadratmeter große Zelle in Ordnung halten kann? Warum hast du den Putzlappen nicht einfach ausgewaschen und wieder benutzt? Warum musstest du auch dein Handtuch nehmen? Wer ist schon so blöd? Keine der anderen Gefangenen ist so blöd wie du. Und die waren nicht auf dem Gymnasium. Du bist unfähig, unbrauchbar, eine Zumutung. Kein Wunder, dass dich keiner liebt. Dich kann man nicht lieben. Hast du gemeint, Wolf käme zu dir zurück, wenn du dich für ihn opferst? Hast du gehofft, er liebe dich dann noch

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