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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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zeigte Poppy ein schmeichelhaft verwischtes Abbild ihres Gesichts. Ihre Falten waren gar nicht zu sehen, und auch die Kratzer waren verblichen und matt. Poppy fühlte, wie sich im Spiegel ein schwarzes Loch auftat. Und wie sie kopfvoran in dieses Loch stürzte.
    Wolf hatte gestanden. Poppy wurde entlassen. Vielleicht würden sich ihre Wege im Hof des Untersuchungsgefängnisses kreuzen. Wenn nicht, würden sie sich nie wiedersehen. Nie wieder berühren. Nie.
    Ihr Geständnis hatte, wenn überhaupt, alles noch schlimmer gemacht. Dass Wolf zugelassen hatte, dass seine Geliebte für ihn im Gefängnis saß, sprach nicht für ihn.
    Poppy musste in ihr Leben zurückkehren, das sich nicht verändert hatte. Ein Leben, das sie an der Kehle würgte. Ein Leben, das ihr zu viel war. Das sie nicht wollte.
    Der Dienstagsdoktor hatte eine Überweisung geschrieben. Sie würde abgeklärt werden. Auf jeden Fall die Gesprächstherapie weiterführen. Er hatte ihr die Hefte zurückgegeben.
    «Es ist nicht nötig, so zu leiden», hatte er gesagt.
    Das schwarze Loch wurde größer und größer. Was, wenn es wirklich eine Erklärung dafür gab, dass Poppy so war, wie sie war? Was, wenn es gar nicht ihre Schuld war, ihre Unfähigkeit? Was, wenn gar nicht sie ihre Mutter ins Grab gebracht hatte, sondern diese drei oder vier Buchstaben? Was, wenn man diese Erklärung schon früher gefunden hätte?
    Das schwarze Loch drohte sie zu verschlingen.
    Lukas, dachte sie. Und: Es ist nicht nötig, so zu leiden!
    Sie richtete sich auf, fuhr mit der Hand über die spiegelnde Fläche, strich das schwarze Loch aus.
    «Cheeseburger mit Pommes frites!», rief Frau Fahrny durch die offene Klappe. «Ihre letzte Mahlzeit hier, Frau Schneider, ich freu mich so für Sie.» Sie häufte großzügig Pommes frites auf Poppys Teller und zog dann aus ihrer Hosentasche zwei kleine Aluminiumtüten. Mayonnaise und Ketchup.
    «Frau Meier wird Sie morgen nach dem Frühstück ausweisen», sagte Fahrny. «Ich seh Sie hier hoffentlich nicht wieder!»
    «Danke.» Poppy nahm das Tablett entgegen. «Frau Fahrny …» Sie zögerte. Sie wusste nicht, wie sie die Frage formulieren sollte, die ihr quer im Hals steckte.
    Aber Fahrny hatte schon alles gehört. «Natürlich schaffen Sie das, Schneider», sagte sie. «Wir glauben an Sie!»
    Und mehr, dachte Poppy, als sie die roten und weißen Saucenkringel über die gelben Kartoffelstäbchen drückte, mehr konnte man nicht sagen. Mehr musste sie nicht wissen.

     
    3. Teil
     
    Wir sind nicht allein.

 
    sv ā dhy ā yadi ṣṭ adevat ā sa ṃ prayoga ḥ
    Im ernsthaften Bemühen, sich selbst zu kennen
    und zu verstehen, entwickelt man auch
    ein Gefühl und Verständnis
    für größere Zusammenhänge.
    Patanjali Yoga Sutra 2 . 44

     
Nevada
     
    Nevada rief ihre Mutter an. Was sollte sie auch sonst tun?
    «Komm nach Hause», sagte Martha.
    Eine halbe Stunde später rief Sierra zurück. «Fang schon mal an zu packen, ich komm mit dem Kastenwagen und helfe dir. Wirst sehen, es ist gar nicht so schlimm.»
    Alles, was Nevada besaß, ließ sich zusammenrollen, falten, einpacken, wegtragen.
    Sierra lief die Treppen herauf und wieder hinunter, als ob nichts dabei wäre. Sie trug zwei Taschen voller Bücher in jeder Hand. Ihre harten Arme spannten sich unter ihrer dünnen Jacke. Nevada blieb bis zum letzten Augenblick auf dem nackten Boden sitzen. Vielleicht würde Lakshmi ihre Meinung noch ändern. Oder sich wenigstens von ihr verabschieden. Nevada hatte keinen Vertrag gehabt. Die Miete für das Zimmer war mit ihren Einnahmen verrechnet worden. Lakshmi hatte Nadine gebeten, die Buchhaltung der letzten beiden Monate auszudrucken, die voller roter Zahlen war.
    «Ich bin ja von Natur aus ein großzügiger Mensch», hatte Lakshmi gesagt. «Wer wüsste das besser als du, Nevada. Aber ich muss auch an das Wohl der Allgemeinheit denken, an meine anderen Lehrerinnen, an unsere Schüler.» Sie hatte die Abrechnung zusammengefaltet und zusammen mit einem Einzahlungsschein in einen Umschlag gesteckt. Nevada hatte einen Moment gezögert, ihn entgegenzunehmen. Wieder hatte sie an die Szene in der Eingangshalle des Hotels Taj Mahal Palace gedacht. Und dann: Was, wenn sie damals das Curryhuhn gegessen hätte? Sie steckte den Umschlag ein und ging zur Tür.
    Nadine stellte sich ihr in den Weg. «Tut mir leid, dass ich so heftig reagiert habe. Ich kann mit Körperausscheidungen nicht umgehen! Das verstehst du, gell?» Sie umarmte Nevada und strich ihr sanft

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